Engel des Todes
aufgespachtelt. Die Augen waren offen, ebenso der Mund. Etwas steckte zwischen den Zähnen.
Nina beugte sich vor. Der Gegenstand im Mund der Frau hatte die Größe eines Bestellblocks, wie ihn Kellner benutzen, etwa einen halben Zentimeter dick, fünf Zentimeter breit und vermutlich acht Zentimeter lang, obwohl das schwer zu sagen war, ohne ihn herauszunehmen. Er war aus glänzendem Metall. Auf einem schmalen Etikett am herausragenden Ende befanden sich eine Zahlenreihe und ein Strichcode.
»Was ist das denn?«, fragte Monroe. Er atmete schwer, Schweißperlen standen ihm auf den Schläfen.
Nina schüttelte ratlos den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
Eine halbe Stunde später trat Nina aus dem Zimmer. Die erste Welle der Truppe der Gerichtsmediziner war angekommen und wimmelte durch den engen Schlafraum, dessen Vorhänge immer noch zugezogen waren. Nina schaute sich nun genau die übrigen Zimmer des Apartments an, was immer leichter fiel, wenn man sicher sein konnte, dass nicht auf einen geschossen wurde. Monroe blieb noch. Er würde erst gehen, wenn die Fotografen für die Tatortaufnahmen kamen.
Es gab keine weiteren Leichen. Das Rascheln, das Nina gehört hatte, war von Monroe gekommen, als er das Badezimmer durchsuchte. Von der Kleidung der Frau, die sie bei ihrer Ankunft getragen haben musste, fehlte jede Spur. Schließlich konnte man nicht im Schlafanzug in einem Motel absteigen, auch nicht in einem Motel wie dem Knights. Normalerweise bringen Gäste auch ein paar Toilettenartikel mit, ein Handgepäck. Irgendwelche Spurenreste würden sich dennoch finden. Die Ermittler gingen auch schon die Vermisstenmeldungen durch, doch irgendetwas sagte Nina, dass erste Ergebnisse auf sich warten lassen würden.
Sie ging hinaus auf den sonnigen Hof, wo neben weiteren Polizisten auch eilig davonstrebende Zivilisten zu sehen waren, die meinten, unbehelligt aus diesem Todesblock verschwinden und ihr anonymes Leben wieder aufnehmen zu können. Stattdessen würden sie viele lange Stunden eine Reihe von Fragen zu beantworten haben. Am Abend würde dann das Motel, in dem sie die Nacht verbracht hatten, auf allen Fernsehkanälen zu sehen sein. Es konnte zu einem Ort werden, dessen Name noch Jahre, ja Jahrzehnte im Gedächtnis haftenblieb. Keiner der Betroffenen sollte den heutigen Tag rasch vergessen, am wenigsten wohl jene Frau, die Nina sah, als sie den Hof verließ und hinaus auf den Parkplatz ging. Der Streifenbeamte Peterson saß immer noch auf der Bank. Zwei seiner Kollegen versuchten die Frau mit Namen Monica zu beruhigen, die herbeigeeilt war und feststellen musste, dass sich die Leiche ihres Mannes bereits in der Leichenhalle befand. Nun klagte sie laut über ihren toten Mann, weil es das Einzige war, was ihr noch zu tun blieb.
Erst als Nina draußen vor dem Eingang in einiger Entfernung von allen anderen stand, holte sie ihr Handy heraus. Hier, wo sie niemand hören konnte, wählte sie John Zandts Nummer. Nach mehrmaligem Klingeln schaltete sich schließlich die Mailbox ein.
»Hallo, ich bin’s«, sprach sie auf das Band. »Ich weiß, du willst über diese Sache nicht mehr reden. Aber ich könnte deine Hilfe brauchen.« Sie zögerte und überlegte, was sie noch sagen sollte, dann fügte sie hinzu: »Ich hoffe, es geht dir gut.«
Dann beendete sie die Verbindung und stand unschlüssig da. Einen Augenblick lang spürte sie ein Kribbeln im Nacken, als wenn jemand sie beobachten würde.
Sie wandte sich um, doch da war niemand. Jedenfalls war niemand zu sehen.
Kurz nach zwei Uhr saß sie an einem Tisch und rührte in ihrem Kaffee, während ihr Chef telefonierte. Sie befanden sich auf der Terrasse eines heruntergekommenen Cafés einen halben Häuserblock von dem Motel entfernt. Die Streifenwagen waren bis auf einen zu anderen Einsätzen beordert worden, aber von ihrem Tisch aus konnte sie vier Zivilwagen des Ermittlungsteams sehen. Sie trank ihren Kaffee und schaute zu, wie weitere Einrichtungsgegenstände aus Zimmer 11 zur genaueren Untersuchung fortgebracht wurden. Mittlerweile stand fest, dass das Zimmer vor fünf Tagen gegen Bezahlung im Voraus gemietet worden war. Den Mann vom Empfang müsste man noch ordentlich in die Mangel nehmen, und Nina hoffte, dass man dies in einem heißen und stickigen Verhörzimmer in aller Ausführlichkeit tun würde.
Monroe klappte sein Handy zu. »Geschafft«, sagte er sichtlich zufrieden. »Olbrich stellt eine Sonderkommission zusammen: die vereinigten Polizeikräfte bei
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