Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
hieß und mein ausgesetzter Bruder war, zu den gefährlichsten Individuen zählte, die man sich denken konnte. In der Nacht vor dem Tod meines Freundes Bobby Nygard schauten wir uns ein Video an, das der Geheimdienst aus den blutigsten Anschlägen der letzten zwei Jahrzehnte zusammengeschnitten hatte. Bombenattentate, Massaker und Schießereien von Amokläufern. Wir sahen den Upright Man an mehreren Schauplätzen im Hintergrund auftauchen, als beanspruche er schweigend den Ruhm. Außerdem hatte er sich als Beschaffer von menschlichen Opfern für die Bewohner von The Halls betätigt, einer Gruppe von Männern und – meines Wissens – Frauen, die bei mehreren Massenmorden ihre Hände im Spiel hatten. Und zu allem Übel sah er auch noch genauso aus wie ich.
    Anfangs war es noch leicht. Meine ersten Nachforschungen begann ich hundert Meilen von Relent entfernt in einem Café mit meinem Laptop auf dem Tisch. Mir war der Gedanke unangenehm, dass jemand denken könnte, ich schreibe an einem Roman, und ich zeigte anderen Gästen, die mich aufmunternd anlächelten, ein grimmiges Gesicht. Aber andererseits brauchte ich den Internetzugang des Cafés. Als Erstes musste ich herausfinden, wo mein Bruder ausgesetzt worden war. Paul hatte mir einmal mitgeteilt, dass dies in San Francisco geschehen sei, doch ich dachte nicht daran, ihm irgendetwas zu glauben, ohne Beweise dafür zu haben. Ausgangspunkt für meine Nachforschungen war die kurze Sequenz am Ende des Videobandes, das mir mein Vater hinterlassen und das ich auf einer DVD gespeichert hatte.
    Die Sequenz bestand aus drei Teilen. Der erste zeigte eine Bahnreise. Wohin die Reise ging, war nicht zu erkennen, aber ich kannte meinen Vater gut genug, um annehmen zu dürfen, dass er die Bahnfahrt nicht bloß als Kulisse benutzt hatte. Die verwaschenen Bilder des konvertierten Super- 8 -Materials halfen, neben der Frisur und der Kleidung meiner Mutter, bei der Datierung, wenn nicht schon der Anblick meiner Wenigkeit im Alter von zwei Jahren die Frage beantwortet hätte. Daher vermutete ich, dass der erste Teil einen Hinweis auf ein Reiseziel enthielt, das weit genug von unserem Zuhause entfernt war, um die Bahn, aber nicht weit genug, um das Flugzeug zu nehmen. So kam eine Auswahl von dreißig bis vierzig Städten in oder um Nordkalifornien oder Oregon in Betracht.
    Die Einstellung wechselte dann zu einer breiten Straße in einem Innenstadtbezirk. Die Kamera folgte meiner Mutter, wie sie mit nach unten ausgestreckten Händen, die aber nicht zu sehen waren, einen Bürgersteig entlangging. Wie sich am Ende herausstellte, hielt sie an jeder Hand einen kleinen Jungen. Viel war nicht zu sehen außer Beispielen für die Mode der späten sechziger Jahre in Form von Anzügen und Autos. Dazu bescheidene Schaufensterauslagen, bei denen man sich fragte, was die Leute in jener Zeit wohl bewogen hat, irgendetwas zu kaufen. Die Aufnahme gab also nichts Besonderes her, außer …
    Ich hielt den Film an. Auf der linken Straßenseite war ein kleines Kaufhaus gegenüber einem Rasenplatz zu sehen. Ich konnte einen Namen entziffern – Hannington’s.
    Nach zehnminütiger Recherche im Internet wusste ich, dass es in Amerika keine Kaufhäuser dieses Namens mehr gab oder zumindest keine, die im Internet warben. Damit war ich mit meinen wissenschaftlichen Nachforschungen am Ende und musste mit diesem Ergebnis wieder von vorn anfangen.
    Ich stöberte ein paar Websites der Sorte »San Francisco anno dazumal« auf und verbrachte eine Weile mit Dokumenten aus der guten alten Zeit der Stadt. Meine Augen wurden schon trüb, als ich einen Hinweis auf einen Samstagmorgenbrauch fand, in dem von einem kleinen Mädchen, mittlerweile eine alte Dame, die Rede war, dessen schon vor langer Zeit verstorbene Mutter es immer in einen Kurzwarenladen namens Harrington’s führte. Sie hätten sich damals nichts leisten können und schauten sich immer nur die Auslagen an …
    Ich sprang zu dem angehaltenen Videobild zurück, und tatsächlich, möglicherweise hatte ich den Namen auf dem Schild falsch gelesen. Der Blickwinkel war nicht günstig, und das Sonnenlicht durchflutete die Szene, wie es zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht leicht vorauszusehen gewesen war. Eine kurze Überprüfung zeigte, dass auch kein Kaufhaus namens Harrington’s mehr am Markt war, weder an der Westküste noch sonstwo. Es schien unwahrscheinlich, dass zwei Kaufhäuser mit fast gleichem Namen pleite gegangen waren. Eine weitere Internetrecherche

Weitere Kostenlose Bücher