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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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was ich an Statur gewonnen hatte. Der Markt war zu ein paar Ständen geschrumpft und gab den Blick frei auf die Straßen, während es mir früher schien, als ob das geschäftige Treiben in einem eigenen Reich stattfände. Ich ging über den Markt und hörte den Widerhall meiner Schritte, wo ich früher nur Feilschen und Gelächter vernommen hatte.
    Und dann sah ich sie. Sie arbeitete an einem Stand, wo allerhand Kleinkram feilgeboten wurde: Stoffreste, Knöpfe, Plastikartikel. Ihr Haar, das vorzeitig ergraut war, trug sie nun kurz geschnitten. Ihr Gesicht sah immer noch jung aus, wenngleich es schwammig geworden war. Sie zeigte das geschäftsmäßige Verhalten einer Marktfrau.
    Ich ging an ihrem Stand vorbei und beobachtete, wie sie etwas in eine Plastiktüte steckte, irgendeinen Artikel für zwei Dollar, den eine alte Frau erworben hatte. Mir wurde bewusst, dass sie jetzt nur noch eine Frau war, die einen Marktstand betrieb. Die Prinzessin, die ich wiederzufinden geglaubt hatte und der ich zeigen wollte, dass ich ein Mann geworden war und etwas darstellte, zumindest ihren Blick wert war, diese Prinzessin gab es nicht mehr. Dies umso mehr, als eine andere nun ihren Platz in der Welt eingenommen hatte. Hätte ich sie nicht gesehen, hätte ich mir noch einbilden können, dass sie anderswo in einer Aura von Zauber und lächelndem Liebreiz umherginge.
    Aber nun blieb mir nichts übrig, als mich ein paar Schritte vom Markt zu entfernen und mit der Gewissheit zurückzuschauen, dass meine Jugend, mein Geheimnis, das mich all die Jahre über angetrieben hatte, nun dahin waren. Erst da ging mir auf, dass sie, obwohl sie mich angeschaut, doch nicht erkannt hatte. Sie war jetzt nur noch eine Marktfrau, aber ich war gar nichts – weder früher noch jetzt.
    Beim Aufwachen drehte ich mich benommen zum Wecker neben dem Bett und stellte überrascht fest, dass nur eine Stunde vergangen war.
    Mein Handy klingelte. Ich nahm es und erkannte die Nummer des Anrufers.
    »Du bist zurück«, sagte ich.
    Schweigen. »Hier ist Zandt«, meldete er sich schließlich.
    »Ich weiß«, sagte ich noch etwas benommen. »Du warst vorhin nicht da.«
    Wieder Schweigen. »Ward, ich bin in Florida.«
    Darauf konnte ich mir keinen Reim machen, aber ich sagte nichts dazu.
    »Ja, schön für dich. Und?«
    »Yakima«, sagte er nur.
    Ich setzte mich auf. »Was ist damit?«
    »Ich habe etwas rausgekriegt. Vielleicht. Viel Sinn ergibt es nicht.«
    »Tja, ich habe Nina zugesagt, morgen nach L.A. zu kommen. Warum kann ich dich nicht dort treffen?«
    »Hast du heute mit Nina gesprochen? Warum?«
    »Sie hat mich angerufen. Sie ermittelt in einem Mordfall und möchte, dass ich mir eine Festplatte mal genauer anschaue.«
    »Wo bist du jetzt?«
    »In San Francisco.«
    Wieder Schweigen. »Wozu?«
    »Ich war dem Upright Man auf der Spur. Ohne viel Erfolg.«
    »Bleib da. Ich komme hin.«
    »John, ich habe dir doch gesagt, dass ich Nina besuchen soll.«
    »Ich will nicht nach L.A.«
    Irgendetwas an seiner Stimme war merkwürdig.
    »Also gut«, sagte ich, »dann erwarte ich dich hier.«
    »Ich rufe dich an, wenn ich ankomme.«
    Und damit beendete er das Gespräch. Ich war mir jetzt ziemlich sicher, dass der merkwürdige Ton in Zandts Stimme daher rührte, dass er betrunken war.
    Ich sann eine Weile darüber nach, dann rief ich Nina an und sagte ihr, dass ich erst einen Tag später nach L.A. kommen könne. Den Grund nannte ich ihr nicht. Sie sagte, sie werde mir stattdessen die Festplatte per Express schicken.
    »Auch gut«, sagte ich. Dann: »Ist John schon wieder zurück?«
    »War er. Aber jetzt ist er wieder weg.«
    »Der Mann ist schwer festzunageln.«
    »Da hast du recht.« Sie schien dazu noch eine Bemerkung machen zu wollen, sagte dann aber nur auf Wiedersehen.
    Ich wandte mich wieder zum Fenster und schaute auf die Stadt. Sie beachtete meinen Blick nicht, wie es Städte so an sich haben.

8
    N ina war gerade auf dem Weg ins Los Angeles Police Department, als die Funkmeldung kam: Ein Beamter im Streifendienst hatte auf das Foto der toten jungen Frau hin einen wichtigen Hinweis erhalten. Sie wendete auf der Stelle, was ihr das Hupen von zwanzig Autofahrern einbrachte, und fuhr zu einer Bar mit dem Namen Jimmy’s in der Nähe der Kreuzung La Cienega und Hollywood Boulevard.
    Vor der Bar standen schon ein Streifenwagen und ein Zivilfahrzeug mit aufgesetztem Blaulicht. Nina reihte ihr Auto in die Sammlung ein und trat eilig durch die Tür. In der Bar war es dunkel, und

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