Engel des Todes
Charles. Gibt es brauchbare Hinweise aus der Abteilung für Täterprofile?«
»Nein, bisher nicht. Und Sie glauben selbst auch nicht, dass von dort noch etwas Brauchbares kommt. Warum eigentlich nicht?«
»Beim Todesschützen von Washington hat die Abteilung doch auch versagt, oder?«
»Das ist ein anders gelagerter Fall …«
»Nein, durchaus nicht. Die Experten gingen davon aus, dass es sich um einen Weißen handeln musste, weil nach herrschender Lehre – die sich auf eine nicht sonderlich wissenschaftliche Untersuchung von anno dazumal stützt – Serienmörder in aller Regel weiß sind, und folglich wurde jeder Hinweis auf einen schwarzen Täter ignoriert. Ferner behauptete eine Reihe von Leuten, sie hätten weiße Trucks gesehen, und schon halten alle Ausschau nach solchen Lastwagen, dabei sind weiße Trucks allgegenwärtig auf den Autobahnen, und es wäre geradezu ungewöhnlich, sie nicht zu sehen. Das Zulassungskennzeichen des
blauen
Autos des Mörders wird ein halbes dutzend Mal geprüft wegen auffälligen Verhaltens des Fahrers, aber da es kein weißer Truck und kein weißer Fahrer ist, nimmt keiner Notiz. Laut Expertenmeinung haben Mörder keine Gehilfen, nur, äh, dieser hatte einen. Aber wir hätten sowieso nicht auf sie hören sollen. Jeder Beobachter mit halbwegs gesundem Verstand wusste von Anfang an, dass es sich nicht um einen Serienmörder, sondern um einen Massenmörder mit religiös-politischem Hintergrund handelte, und in diesem Fall sind solche Täterprofile ohne Relevanz. Stattdessen haben sie den Blick auf den Fall verstellt, und das könnte sich hier wiederholen. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch etwas auf diese sogenannten Experten geben soll.«
»Warum haben Sie mich dann gefragt, ob es Neues von den Herrschaften gibt?«
»Um Sie von weiteren übereifrigen Anfragen abzuhalten.«
»Nina, wann werden Sie mir endlich sagen, was letztes Jahr geschehen ist?«
»Ich habe Ihnen schon alles gesagt, Chef«, antwortete sie harmlos lächelnd. Innerlich mahnte sie sich aber zur Vorsicht. Monroe mochte für vieles anfällig sein, aber dumm war er nicht.
In diesem Augenblick erschien Olbrich mit einem Schlüsselbund in der Hand an der Treppe. »Zinman nimmt eine Aussage zu Protokoll«, sagte er auf dem Weg zu Apartment 7 , »aber der Typ hat nichts für uns. Er behauptet, sie habe immer für sich gelebt, blabla. Aus dieser Dumpfbacke ist nichts herauszuholen. Alles bereit?«
Nina und Monroe nickten mit gezogener Waffe.
Olbrich klopfte an die Tür, wartete, erhielt aber keine Antwort. Er schloss auf und drückte langsam gegen die Tür.
»Polizei«, sagte er. »Kommen Sie heraus.«
Nichts geschah. Er öffnete die Tür etwas weiter. Zu sehen war nun ein ziemlich geräumiges, etwa sechs mal sechs Meter großes Zimmer. Da Nina draußen stehen blieb, konnte sie nicht mehr erkennen. Die beiden Männer traten in die Wohnung und riefen sie wenig später herein. Niemand zu Hause.
Nachdem auch sie eingetreten war, fiel ihr Blick auf einen niedrigen Tisch und eine abgewetzte rote Couch in der Mitte des Zimmers, am anderen Ende befand sich ein Computertisch neben dem Fenster. Der Computer war grau und sah billig aus. Am unteren Rand des Bildschirm leuchte ein rotes Lämpchen, aber der Bildschirm selbst war schwarz. Neben dem Computertisch stand ein Fernsehgerät, das man von der Couch aus sehen konnte. Für eine optimale Sicht hätte man es weiter nach links stellen müssen, aber dann hätte es die Tür zum Schlafzimmer blockiert, wo jetzt die beiden Männer standen. Ein dünnes schwarzes Kabel führte vom Computer quer durch den Raum hinein ins Schlafzimmer. Ehe Nina dem Kabel folgte, machte sie noch ein paar Schritte in die andere Richtung und schaute in die kleine Küche, wo ein großes Fenster auf die Straße blickte. Es sah aufgeräumt aus. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie in der Ecke hinter der Couch eine ramponierte Gitarre. Das Instrument war staubig, außerdem fehlte eine Saite.
In einer Ecke des Zimmers stand ein kleiner Schreibtisch. Ein paar Schreibblöcke. Nina hob vorsichtig das Deckblatt eines der Schreibblöcke und warf einen Blick hinein. Kritzeleien. Daneben Sachen, die wie Liedzeilen aussahen. Die Zeile »Regen, der niemals reinwäscht …« war hingeschrieben, dann durchgestrichen worden.
»Schauen Sie sich das einmal an«, sagte Monroe.
Das Schlafzimmer war eng und bot gerade genug Platz für ein Doppelbett und einen Frisiertisch. Das Bett war nicht gemacht. Die
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