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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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leise: »Was hat er denn getan?«
    »Mrs. Campbell«, sagte ich eindringlich. »Da ist etwas, was Sie mir noch nicht gesagt haben. Ich muss es wirklich wissen.«
    Sie sah mich wieder an und sprach dann rasch und mit müdem Blick. »Ein paar Jahre darauf begegnete ich zufällig dem Mann aus der Pflegefamilie, die Paul vor die Tür gesetzt hatte. Seit jenem Tag hatte ich nichts mehr von ihnen gehört. Wer ein Kind so behandelt, wird von unserer Liste gestrichen und bekommt eine Anklage an den Hals. Auch bei ihnen wäre es dazu gekommen, aber dann wurde die Frau krank, und die Sache blieb liegen. Ich erkannte den Mann auf der anderen Straßenseite und schaute absichtlich weg, aber da kam er auch schon durch den Autoverkehr auf mich zu. Er trat zu mir und sprach mich an. Seine Frau hatte einen Hund, als Paul noch bei ihnen war. Der Junge war die meiste Zeit über brav, richtig brav, fast so, als ob er sich abgefunden hatte und das Beste aus der Situation machen wollte. Auch mit ihrer Tochter vertrug er sich die meiste Zeit. Aber an den Hund gewöhnte sich Paul nicht, er mochte sein Bellen nicht, und er behauptete, der Hund sehe ihn böse an. Nun war das Tier schon ziemlich alt, die Frau des Mannes hatte es schon seit ihrer Studienzeit, und sie liebte es mehr als alles auf der Welt. Sogar mehr als ihren Mann. Das sagte er selbst, ohne verstimmt zu sein, denn auch er mochte das Tier. Ein großes, schläfriges, altes Hundevieh, das nicht mehr viel machte, im Garten schlief und hin und wieder mit dem Schwanz auf den Boden schlug.«
    Sie hielt inne und atmete tief durch. »Eines Tages kam Paul ins Haus gerannt und sagte, der Hund sei überfahren worden. Sie liefen nach draußen. Der Hund liegt halb im rückwärtigen Garten, halb auf der schmalen Straße, die hinter dem Garten vorbeiführt. Sein Kopf ist ein einziger Brei, wie wenn ein Auto darübergefahren wäre. Paul heult und ist außer sich, daher wird der Hund rasch begraben. Erst als das Ehepaar spät in der Nacht noch im Bett saß, sagte die Frau etwas. Ohne ihren Mann anzuschauen, sagte sie leise, als ob sie zur Wand spräche, dass sich der Hund in all den Jahren, in denen sie in diesem Haus lebten, nie auf der Straße hinter dem Garten herumgetrieben habe. Wie merkwürdig es doch sei, dass dort überhaupt ein Autofahrer so schnell gefahren sein sollte, um nicht rechtzeitig bremsen zu können. Und schließlich sei es seltsam, dass nur der Kopf des Hundes samt beiden Augen und dem Maul so schwer verletzt worden sei.
    Ihr Mann dachte über ihre Worte nach. In jener Nacht sprachen sie nicht mehr darüber, sondern legten sich schließlich schlafen. Das war eine Woche bevor sie Paul zurückgaben. Der Mann räumte ein, dass sie keine Beweise für ihre Annahme hatten, dass es doch kein Unfall gewesen sein könnte. Aber die Sache brachte das Fass zum Überlaufen. Seine Frau wollte Paul nicht mehr länger im Haus sehen.«
    Mrs. Campbell hob einen Finger, um mich zu hindern, etwas zu sagen. »Hören Sie bitte. Das war nur die Aussage dieses Mannes. Ich dachte damals, dass es eine Lüge gewesen sein könnte, um ihre Handlungsweise zu rechtfertigen, und vermutlich war das aus meiner Miene herauszulesen. Der Mann schüttelte den Kopf und sagte, hätte ich die ganze Zeit seit jenem Tag in die Augen seiner Frau geschaut, dann wüsste ich, was wahr und was nicht wahr sei. Und damit wandte er sich ab und ging fort, und ich habe ihn nie wiedergesehen.«
    »Mein Gott«, sagte ich.
    »Ja«, sagte sie. »Und jetzt erzähle ich Ihnen noch ein Letztes, und dann werden Sie gehen. Sechs, sieben Jahre nach dieser Begegnung, kurz vor meiner Pensionierung, kam es zu einem Brand in der Behörde. Muriel hat es Ihnen schon berichtet. Dabei sind viele Akten vernichtet worden.«
    »Ja«, bestätigte ich. »Sie hat das erwähnt.«
    »Was sie nicht weiß, ist Folgendes. Ich kam an jenem Morgen verspätet zur Arbeit – die Straßenbahn war steckengeblieben, ich musste die letzten sechs Häuserblocks zu Fuß gehen. Als ich dort ankam, stieg schon Rauch aus dem Gebäude, Schaulustige standen auf der Straße, andere liefen hin und her. Das war ein schwarzer Tag. Wie sich herausstellte, waren vier Menschen ums Leben gekommen, und viele hatten Brandverletzungen erlitten. Das Feuer war ausgebrochen, als das Gebäude voller Menschen war. Während ich noch draußen stand und alles betrachtete, hatte ich plötzlich ein unheimliches Gefühl im Rücken. Ich drehte mich um und …«
    In ihrem Hals knackte es,

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