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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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Schritt zurück, also wollte sie sich unbewusst von diesem Abend lösen, aber dann kam sie doch wieder an die Seite ihres Mannes, und gemeinsam geleiteten sie Nina bis zur Haustür. Um sie aus ihrem Territorium zu verweisen – das war es eigentlich. Frauen verhalten sich gegenüber Frauen in einer Weise, die Männer nie richtig durchschauen. Sie verständigen sich ohne Worte, sie üben Druck aus, ohne die Hand zu heben.
    Auf dem Weg zurück zu den Autos gewann Nina auf ihre geheime Weise Abstand von diesem Abend und steckte die Speicherkarte in ihre Tasche, ehe die Männer sie sehen konnten. Morgen würde sie ihren Platz bei den übrigen Indizien finden.
    Aber nicht mehr heute Nacht.

15
    I ch kam vormittags bei Nina an. Der Taxifahrer, der mich hergefahren hatte, machte ein ungläubiges Gesicht.
    »Wohnen Sie hier?«
    »Eine Freundin von mir.«
    »Mutige Frau«, sagte er, setzte den Wagen zurück und fuhr davon.
    Ich nahm den Weg, der sich steil nach oben zur Vorderseite des Hauses schraubte. Ich war nur einmal kurz hier gewesen, vor drei Monaten. Ich hatte eine Nacht auf der Couch verbracht, nachdem Nina, Zandt und ich die entführte kleine Sarah Becker ihren Eltern zurückgebracht hatten. Seither hatte sich der Zustand des Hauses nicht gebessert. Der Bau war ein Beispiel für die kalifornische Variante der klassischen Moderne: eine Flucht quadratischer Räume mit einer abknickenden Erweiterung für die Küche, so dass sich ein L-förmiger Grundriss ergab wie bei einem sehr kleinen Motel. In den fünfziger Jahren hatte es vielleicht Eindruck gemacht, ein preiswertes Vorzeigehaus, doch nun sah man schon aus der Entfernung, dass die Tage dieses Domizils gezählt waren.
    Ich klopfte an. »Die Tür ist offen«, kam eine Stimme aus dem Haus. Beim Eintreten sah ich Nina draußen auf ihrem Balkon telefonieren. Sie winkte, ohne mich anzuschauen.
    Ich stellte meine Reisetasche ab und blieb für eine Weile im großen Wohnzimmer stehen. Platz gab es jedenfalls. Es sah nicht so aus, als hätte in letzter Zeit hier das pralle Leben stattgefunden. Nicht dass es staubig gewesen wäre oder der Schmutz von den Wänden gestarrt hätte. Nein, es lag daran, dass im ganzen Zimmer so gut wie keine persönlichen Gegenstände anzutreffen waren, mit Ausnahme von ein paar Regalen mit Büchern und Aktenordnern an der gegenüberliegenden Wand. Ich ging in die Küche und schaute in den Kühlschrank, worin zwei Flaschen Wein sowie je eine Packung Milch und Orangensaft standen. Sonst nichts, auch nicht in den Küchenschränken. Nina ernährte sich offenbar nur von Flüssigem.
    Als ich in den Wohnbereich zurückkam, sah alles noch stiller und karger aus. Ich hatte einmal gelesen, wie im ersten Jahrtausend in England die längst verlassenen Ruinen der römischen Landhäuser und Tempel von den Einheimischen als Obdach auf Reisen durch ein weitgehend unbewohntes Land genutzt wurden. Sie nannten diese Orte »kalte Häfen«, denn die Ruinen boten zwar Schutz vor den Unbilden der Witterung, aber keine Wärme und kein Leben. Ninas Haus vermittelte den gleichen Eindruck, und das dachte ich als ein Mann, der viele Nächte in Motels und Fabrikgebäuden mit zugenagelten Fenstern und Abrissankündigungen verbracht hatte.
    »Hallo, Ward.«
    Nina stand in der Tür, sie telefonierte nicht mehr. Sie trug das Haar etwas länger als früher, und außerdem schien sie bei einer immer schon schlanken Figur noch ein paar Pfunde verloren zu haben. Irgendetwas an ihr erinnerte mich an etwas oder jemanden, aber mir fiel nicht ein, was es gewesen sein könnte.
    »Du solltest die Polizei benachrichtigen«, sagte ich. »Jemand hat deine gesamten Vorräte gestohlen.«
    »Du hast nicht richtig gesucht. Was ich brauche, ist an seinem Platz. Im Supermarkt.«
    »Hast du wenigstens Kaffee im Haus? Oder hast du die nächste Starbucks-Filiale damit beauftragt?«
    Wie sich herausstellte, hatte sie jede Menge Kaffee.
     
    »Ich habe alles daran ausprobiert, was ich an Software kenne«, sagte ich, als ich ihr die Festplatte zurückgab. »Ohne Ergebnis. Ansonsten gibt es noch Mustererkennungsprogramme, mit denen ich es noch nicht versucht habe. Da sie Spuren hinterlassen, werde ich das lieber mit der Kopie machen, falls du die noch hast. Wer die Festplatte gelöscht hat, der hat gründliche Arbeit geleistet. Die ist wirklich leer. Tut mir leid, manchmal findet man eben nichts.«
    »Macht nichts«, sagte sie. Sie stand am Geländer und schaute hinaus auf das dunstige Meer. »Es war

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