Engel des Vergessens - Roman
Augen und sagt, weißt du, wenn man im Wald Angst hat, muss man Partisanenlieder singen. Er habe das oft gemacht und es habe immer geholfen, ob ich welche kenne. Ich verneine. Gut, dann singe ich, sagt er. Und Vater singt, was seine Stimme hergibt, kämpferische Partisanenlieder, wobei er sich nur an einzelne Strophen erinnert und diese so lange wiederholt, bis wir zu Hause ankommen.
Mutter erwartet uns aufgebracht und besorgt in der Küche. Ich will sie nicht beunruhigen, also erzähle ich ihr nichts von den Verhängnissen, die uns begegnet sind. Ich fürchte, dass sich der Tod in mir eingenistet hat, wie ein kleiner schwarzer Knopf, wie eine dunkle Spitzenflechte, die sich unsichtbar über meine Haut zieht.
* * *
Der Krieg ist ein hinterhältiger Menschenfischer. Er hat sein Netz nach den Erwachsenen geworfen und hält sie mit seinen Todesscherben, mit seinem Gedächtnisplunder gefangen. Eine kleine Unvorsichtigkeit nur, ein kurzes Nachlassen der Aufmerksamkeit, schon zieht er seine Netze zusammen, schon hat er Vater an seinem Erinnerungshaken hängen, schon rennt Vater um sein Leben, schon versucht er seiner Allmacht zu entkommen. Der Krieg taucht unvermittelt in den flüchtig hingesagten Sätzen auf, greift aus dem Schutz der Dunkelheit an. Er lässt seine Gefangenen im Netz erzittern und verstellt sich monatelang, um einen neuen Angriff vorzubereiten, sobald er vergessen wird. Ist er einmal geschwächt, wird er sogar ins Haus gebeten, wird seine Rüstung belächelt, im Glauben, ihn freundlich stimmen zu können, der Tisch für ihn gedeckt, das Bett für ihn bereitet.
Vater sei der jüngste Partisan gewesen, sagt Peter, sein Cousin, als wir in der Wohnstube sitzen und Großmutters Geburtstag feiern. Er sei der jüngste Partisan gewesen, ob er noch daran denke, kaum zwölf Jahre alt warst du. Ja, sagt Vater, aber am liebsten würde er alles vergessen. In der Nacht schrecke er manchmal auf und wisse nicht, wo er sei. Im Traum renne ich um mein Leben wie damals auf der Velika planina, sagt Vater.
Madonna, sagen die anderen, war das ein Hundeleben!
Am Tag als uns die Vorräte ausgegangen sind und das Kommando kam, jetzt aber fort, den Berg hinunter, zwischen den Deutschen durch, fertig, aus, wie hat es da gekracht, erzählt Vater. Um zwei Uhr in der Nacht seien sie im tiefen Schnee den Berg abwärtsgeglitten, in einer Rinne, in der man früher Baumstämme ins Tal geschickt habe. Aus Kamnik haben die Deutschen mit Scheinwerfern heraufgeleuchtet, es sei so hell gewesen, dass man jede Bewegung erkennen konnte. Im Tal wurde geschossen, dass nur noch blaue und rote Striche zu sehen waren. Die Äste und Blätter seien von den Bäumen heruntergeprasselt, ein Partisan sei am Boden gelegen und habe geschrien, hilf mir, hilf mir, aber er sei gerannt, als ob der Teufel hinter ihm her wäre, sagt Vater. Auf der Flucht seien sie auseinandergerissen worden, er und zwei weitere Partisanen seien über eine Straße gerannt und dann einem Deutschen direkt vor das Maschinengewehr gelaufen. Jetzt bin ich tot, habe er gedacht, jetzt werde ich erschossen, aber der Deutsche habe ihm zu verstehen gegeben, dass er verschwinden solle, er habe ihn weitergewunken. Rasch, rasch, habe er gesagt. Das ist ein Guter gewesen, sagt Vater, ein Guter, den werde er nie vergessen. Seine Gruppe habe den Fluss erreicht, der Kommandant habe geschrien: Durch das Wasser, über die Brücke können wir nicht! Der Erste, der ins Wasser ging, sei sofort weg gewesen, abgetrieben wie nichts. Sie hätten sich aneinandergeklammert und seien hinüber. Über ihn und seinen Bruder sei das Wasser nur so geströmt, und das im Januar. Im Krieg ergeht es dem Menschen wie einem Hasen bei der Jagd, nur noch viel schlimmer, sagt Vater.
Ja, bekräftigt Peter, wir waren die Hasen und der Hunger war unser Kommandant.
Oft müsse er daran denken, wie hungrig er gewesen war, der Magen sei das Zentrum seiner Delirien gewesen und habe ihn in Gefahr gebracht. Wenn er daran denke, wie unvorsichtig Lojz und er beim Keber-Hof waren, weil sie glaubten, von der Bäuerin Brot zu bekommen, spüre er noch heute eine Gänsehaut. Da höre ich die Deutschen, sagt Peter: Schießt, schießt, Banditen, haben sie geschrien! Lojz habe gefeuert, er auch mit seinem Trommelrevolver, keine Rückzugsmöglichkeit mehr, bergauf habe man nicht rennen können, so seien sie über das Feld gerannt, der Lojz voraus, er hinterher. Dann habe ihn der Polizeihund erwischt und seine Hose zerrissen. Er sei
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