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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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frage ich. Die Polizei ist aus Eisenkappel zu uns auf den Hof gekommen, ganz früh, ich habe noch Kühe gehütet, bevor ich zur Schule gehen wollte, da haben sie mich umstellt, dort unten, neben der Mühle. Sie haben nach Großvater gefragt und ob ich wisse, wann er nach Hause komme, erzählt Vater und blickt in die Runde, um zu prüfen, ob man seine Geschichte überhaupt hören wolle. Er bemerkt mein erstauntes Gesicht und fährt fort. Nachdem ich mehrmals beteuert habe, dass ich nichts weiß, haben die Polizisten Seile aus den Rucksäcken gezogen und mir eines um den Hals gelegt. Dann haben sie mich auf einen Ast gehängt, einen Ast des Nussbaums, der neben der Mühle gestanden ist. Sie zogen mich mit dem Seil hinauf, bis mir schwarz vor den Augen wurde, und ließen mich dann wieder hinunter. Dann zogen sie mich wieder hinauf, drei Mal hintereinander. Dann ist Großmutter vom Haus heruntergerannt und hat gebettelt, dass sie mich auslassen sollen, sie sollen mich doch um Gottes willen auslassen, weil ich ja noch zur Schule gehen müsste. Mit der Schule wird es nix, haben die Polizisten gesagt und sind zum Hof hinauf und haben das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Nachher haben sie ihn zum ¢emer-Hof mitgenommen, erzählt Vater, sie hatten gerade den ¢emer Johi verhaftet und so zugerichtet, dass er ihn gar nicht anschauen konnte. Ein Polizist habe Slowenisch mit ihnen gesprochen und gesagt, dass sie beide noch ärger prügeln werden, wenn sie nicht die Wahrheit sagten, sie sollen doch endlich die Wahrheit sagen. Den ganzen Tag haben sie den Johi und ihn von einem verratenen Bunker zum nächsten geführt, aber niemanden mehr angetroffen. Um zwei Uhr in der Nacht hätten sie ihn auf den Polizeiposten nach Eisenkappel gebracht und ihn auf dem nackten Boden schlafen lassen. Sie haben mir eine Decke hingeworfen, das war alles, sagt Vater. In der Früh haben sie mich in ein anderes Zimmer geführt und mich an den Kleidern auf einen Haken an der Wand gehängt, auf eine Art Kleiderhaken. Dann hat mich ein Polizist mit der Peitsche geschlagen, Madonna, sagt Vater, ein Kind mit der Peitsche schlagen. Es ist eine grobe Peitsche gewesen, mit vielen Schnüren. Während der Polizist auf ihn einschlug, habe er ihn immer wieder gefragt, ob Großvater zu Hause gewesen sei. Ich habe aber nichts gesagt, beteuert Vater. Also habe man ihn freigelassen. Der Polizist habe ihm noch aufgetragen, Mici solle sich bei der Polizei melden. Dann bin ich gerannt wie der Teufel. Auf dem Heimweg ist mir die Mutter entgegengekommen. Ich war blau und violett geschlagen, im Gesicht und an den Beinen. So eine Angst habe ich gehabt, sagt Vater und wirkt ein wenig verwundert, weil er so lange geredet hat.
    Du warst nach der Heimkehr derart eingeschüchtert, dass du den Mund nicht aufmachen konntest, sagt Leni. Dein Hals war blutunterlaufen und die Beine voller blauer Striemen, aber du wolltest partout nichts verraten. Ja, so war es, sagt Vater und verstummt.
    Ich bin in höchster Aufregung und möchte aufspringen, Fragen stellen, die ich nicht zu Sätzen ordnen kann. Sie bewegen sich in mir als durcheinandergeratene Pfeile, die in alle Richtungen schnellen und voneinander abprallen. Ich versuche Vater, der neben mir sitzt, von der Seite anzuschauen, kann jedoch meinen Kopf nicht bewegen. Ich fürchte mich davor, ihm jetzt in die Augen zu blicken, das wäre ein Vergehen gegen was auch immer. Seine Erzählung ist zu meiner geworden, stelle ich fest, obwohl ich in diesem Augenblick gar nichts feststelle, nur das Gefühl habe, dass er mir einen Teil meiner eigenen Geschichte erzählt hat. Ich schrecke vor diesem Gedanken zurück, wie ich auch vor Vaters Geschichte zurückschrecke, sie entsetzlich finde und unverständlich, das Unverständliche auf mich beziehe und empört darüber bin, so etwas denken zu müssen. Ich will nicht darüber nachdenken müssen.
    Leni erzählt, sie habe, als sie beobachtete, wie Großmutter verhaftet wurde, die kleine Bredica gepackt und sei zu unserem Hof gerannt. Ausgesehen habe es, im ganzen Haus sei alles drüber und drunter gelegen, und ihr werdet es nicht glauben, im Keller ist schon eine Nachbarin gestanden und hat versucht, einen Sack mit Äpfeln zu füllen, sagt Leni. Deswegen habe sie beschlossen, gleich auf dem Hof zu bleiben; die hätten das ganze Haus weggetragen und den Stall ausgeräumt. Anfang November, drei Wochen nach Großmutters Verhaftung, habe Großvater, der in Begleitung eines Partisans in die Nähe des Hofs

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