Engel des Vergessens - Roman
gekommen war, sie hinauf in den Wald gerufen. Da habe ich meinen Bruder das erste Mal als Partisan gesehen, sagt Leni. Großvater sei wegen der Verhaftung seiner Frau so verzweifelt gewesen, dass sie ihn beruhigen musste. Sie habe ihm versprochen, bis Kriegsende auf dem Hof zu bleiben und auf seine Kinder aufzupassen. Dann habe sie Zucker, Salz und gedörrtes Obst geholt und alles in den Wald getragen. Ein paar Tage danach sei es losgegangen. Ich überlege noch heute, wer mich angezeigt hat, dass ich einen Korb mit Lebensmitteln in den Wald getragen habe, sagt Leni. Die Kinder mussten von da an Wache stehen, wenn ein Partisan zum Haus gekommen ist. Ende Dezember, draußen ist sehr viel Schnee gelegen, ist mein Bruder wiedergekommen und plötzlich in der Schweineküche gestanden, wo ich mit den Kindern Schnaps gebrannt habe. Er ist allein über Globasnitz heraufgekommen, es hat eine Schießerei gegeben, bei der seine Gruppe auseinandergerissen wurde und alle fliehen mussten. Einer seiner Freunde ist bei diesem Gefecht erschossen worden. Mein Bruder hat gesagt, dass alles sinnlos sei, dass er sich der Polizei stellen werde, dass er die ganze Familie ins Unglück stürze, dass er dieses Leben nicht mehr ertrage. Er hat geweint wie ein Kind, wie ein Kind hat er geweint, mein Bruder, sagt Leni. Sie habe ihm eine Eierspeis gemacht und einen Tee gekocht, sie habe ihm frische Wäsche gegeben und das Gewand getrocknet. Sie und Tonci, sein ältester Sohn, hätten ihm zugeredet, nichts zu überstürzen, die Gestapo würde ihn sofort ins KZ stecken oder ihn foltern lassen, eine Selbstanzeige hätte keinen Sinn und würde seine Frau und die Ziehtochter nicht nach Hause bringen. Dein Großvater hat sich daraufhin etwas beruhigt. Bevor es hell wurde, ist er wieder in den Wald gehuscht, sagt Leni. Was waren das für Zeiten!
Es war ein Schweineleben, sagt Cyril. Als Soldat sei er manches gewöhnt gewesen, aber diese Unsicherheit, die schlechte Versorgung, die Kälte, immer musste man auf der Hut sein. Bei den Partisanen sei ihm der Humor vergangen, obwohl es ihn manchmal schon gejuckt hätte, einen Blödsinn zu machen, aber man hätte damit immer irgendwen in Gefahr gebracht. Der Šorli, zum Beispiel, ein Kurier, hat es nicht lassen können, Harmonika zu spielen und den Frauen nachzusteigen. Er ist einer Patrouille ins Netz gegangen und am Wögel-Hof tödlich verwundet worden, als er mit der Harmonika vor der Brust aus dem Stubenfenster springen wollte. Die Ziehharmonika hat sich im Fenster verfangen und er hat sein Leben hingegeben für ein paar unbeschwerte Stunden, vielleicht. So verrückt ist man manchmal gewesen, sagt Cyril. Auch er habe das Jagen nicht lassen können, es habe ihn halt gejuckt. Er habe sein Jagdgewehr von zu Hause geholt und dann sei es passiert. Als er über diesen verfluchten Zaun sprang, habe sich der Schuss gelöst und seine Hand durchschossen. Christus Jesus, sagt Cyril. Jetzt war ich derjenige, der illegal verarztet und gepflegt werden musste, dabei hatte ich bis dahin die Kranken und Verwundeten in den Bunkern versorgt. Nun habe man für ihn einen Bunker in der Nähe seines Hofes bauen müssen, damit ihn seine Frau heimlich pflegen konnte. Seine Schwester habe vom deutsch gesinnten Gemeindearzt Verbandszeug und Medikamente geholt. Der Arzt habe natürlich geahnt, für wen die Medikamente bestimmt waren, aber er habe sie, wie in anderen Fällen auch, murrend bereitgestellt und niemanden auffliegen lassen. Nachdem ich wieder genesen war, wurde ich als Begleitschutz für die Kommandanten eingesetzt. Ich kannte ja alle Pfade und Steige, die Nachbarn haben mir vertraut, sagt Cyril. Für irgendetwas wird diese Verwundung ja gut sein, habe er sich gedacht, vielleicht habe es so kommen müssen. Nachdem er in Finnland, beim Fliegerabwehreinsatz, beschlossen hatte, aus der Wehrmacht zu desertieren, habe er sich in Klagenfurt von einem alten Kärntner Arzt den Arm verbinden lassen, damit er nach Hause gehen konnte. Der Arzt hat mich von unten angeschaut und mich gefragt, ob er mir den gesunden Arm verbinden dürfe. Mehr hat er nicht gesagt. Der hat mit Sicherheit gewusst, dass ich vorhatte zu desertieren, sagt Cyril.
Die Menschen seien bis zu einem gewissen Grad vollkommen naiv gewesen, greift Sveršina ins Gespräch. Bis sie in unseren Gräben begriffen, dass sie sich in einem Kampf auf Leben und Tod befinden, habe es gedauert. Eine Zeitlang haben die Bauern, Knechte und Mägde geglaubt, die Partisanen seien
Weitere Kostenlose Bücher