Engel für den Duke
die kleinen Perlenknöpfe ihres Kleides wieder. Dann zog er ihren Umhang zurecht und griff nach ihrer Haube.
Lily nahm sie mit bebenden Händen entgegen und stülpte sie über ihr zerzaustes Haar.
Dann setzte Royal sie wieder auf den Platz gegenüber. „Ich weiß, ich sollte mich entschuldigen, ich weiß, dass das nie hätte passieren dürfen. Aber es ist passiert, und ich kann mich nicht entschuldigen.“
Lily sah ihn an, hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen und Verzweiflung, und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. „Wir … wir dürfen nicht mehr allein miteinander sein.“
In seiner Wange zuckte ein Nerv. „Ich weiß.“ Er wollte ihre Hand nehmen, hielt dann aber inne. „Wenn die Dinge anders lägen, wenn mein Leben nicht schon vorbestimmt wäre …“
Lily schluckte. „Bitte bring mich nach Hause, Royal.“
Er sah ihr einen Moment lang in die Augen, dann nickte er. Er klopfte ans Kutschendach und rief: „Bringen Sie uns zurück, Mason. Halten Sie an, ehe Sie Meadowbrook erreichen.“
„Jawohl, Hoheit.“
Lily schloss die Augen, um den heftigen Schmerz aus ihrer Brust zu verbannen, und lehnte sich in die Samtpolstern zurück. Wie konnte ein Tag, der mit Feiern begonnen hatte, mit so viel Schmerz enden?
Lily wünschte, sie müsste ihn nie wieder sehen. Das wäre so viel leichter. Aber wie schuldig sie sich auch fühlten mochte für das, was sie getan hatte, – sie hatte versprochen, ihm zu helfen, und wie der Duke selbst gehörte auch Lily nicht zu jenen, die ihr Wort brachen.
Am folgenden Morgen kleidete sie sich in ein schlichtes graues Wollkleid, zog sich die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf als Schutz gegen Wind und Regen und brach in Richtung St. Giles auf, ein Viertel zwischen Farley und Bunbury Lane. Sie kehrte zurück zu der kleinen Wohnung über der Fat Ox Tavern, die sie und ihr Onkel vor sechs Jahren bewohnt hatten, ehe er sie in die Obhut ihrer Verwandten gegeben hatte.
Sie wusste nicht, ob er noch immer dort lebte, aber Jack Morgan war ein Gewohnheitsmensch, und vermutlich hielt er sich irgendwo dort in der Gegend auf.
Lily schloss das Eisentor vor dem Haus der Caulfields und ging die Straße hinunter, bis zur Ecke, wo sie eine Droschke mieten konnte. Sie wartete, bis sie ein altes Pferd herankommen sah, dann winkte sie das Gefährt heran und nannte dem Kutscher die Richtung, in die sie fahren wollte.
Der Kutscher, ein langhaariger Mann mit einem pockennarbigen Gesicht, warf ihr einen Blick zu, als wolle er sie fragen, warum um alles in der Welt sie an so einen Ort fahren wolle, aber er sagte nichts, wartete, bis sie eingestiegen war, zog dem alten Pferd mit dem Zügel eins über, und die Kutsche setzte sich in Bewegung.
Es dauerte eine Weile, bis sie angekommen waren, da sie sich im Schneckentempo bewegten, aber dann begann Lily die vertraute Umgebung wiederzuerkennen. Der Fußweg vor einer Reihe heruntergekommener Häuser, eine Ginhandlung namens Blue Ruin , eine Hufschmiede, aus der das Klirren des Schmiedehammers herausdrang. Es war keine gute Gegend, aber immer noch besser als manche andere.
Sie sah das Schild der Fat Ox Tavern und bat den Fahrer, sie vor dem Eingang aussteigen zu lassen.
„Wenn Sie warten, bezahle ich Sie extra. Ich suche jemanden. Ich hoffe, ihn hier zu finden, aber ich bin nicht sicher.“
Der Kutscher sah sich in der Gegend um. Ein gefleckter Hund beschnüffelte den Abfall vor dem Eingang zu einer Gasse. Eine Straßendirne ging an der Ecke ihrem Gewerbe nach, und ein Betrunkener kam aus der Tür der Taverne und torkelte die Straße hinunter.
„Ich bezahle Ihnen das Doppelte“, sagte sie, als sie bemerkte, wie unsicher der Mann war.
„In Ordnung, Miss, aber bleiben Sie nicht zu lange.“
Sie nickte. „Ich bin gleich zurück.“
Die Taverne war so laut und voll, wie sie sie in Erinnerung hatte. Die Gäste waren halb betrunken, und es war noch nicht einmal Mittag. Mit sechzehn hatte sie sich daran gewöhnt und sogar viele hier gekannt. Nachdem sie sechs Jahre fort gewesen war und in einer völlig anderen Welt gelebt hatte, verursachte diese Umgebung ihr nun ein seltsames Gefühl in der Magengegend.
Lily straffte die Schultern und durchquerte den Schankraum.
„Jolly!“, rief sie, als sie den großen dicken Mann sah, dem die Taverne gehörte. „Ich bin’s – Lily Moran!“
Er starrte sie an, ließ den Blick über ihre elegante Kleidung gleiten. Selbst der einfache Wollstoff war feiner als alles, was sie getragen hatte,
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