Engel im Schacht
liegenlassen. Mary Louise Neely hatte gemeint, daß die Typen wahrscheinlich nach irgendwelchen Papieren gesucht hatten, weil sie alle meine Bücher und schriftlichen Unterlagen im Wohnzimmer durchgeblättert hatten. Aber mein Schlafzimmer war nicht verwüstet. Sie waren hineingegangen, hatten den Brief entdeckt und waren wieder verschwunden.
»Woran erinnerst du dich?« wollte Conrad wissen. »Brichst du in letzter Zeit so oft ein, daß du dich an Einzelheiten nicht mehr erinnern kannst?«
Ich gestand ihm die Sache mit dem Brief. »Ich habe Alec Gantner davon erzählt, als ich gestern abend draußen bei ihm war. Der hat ein richtiges Sicherheitsteam da bei GantAg. Wahrscheinlich machen die alles, was er von ihnen verlangt, wenn's sein muß, verprügeln die auch Frauen auf der Treppe vor ihrer Wohnung.« Conrad heulte auf. »Warum hast du dir die Unterlagen von Messenger überhaupt angesehen? Verstehst du denn nicht, daß wir uns jetzt in einer unmöglichen Situation befinden? Was ist, wenn tatsächlich Gantner nach dem Brief gesucht hat? Was soll ich dann sagen - was kann Finch machen? Soll er vielleicht zu Clive Landseer gehen und sagen: entschuldigen Sie bitte, aber wir hätten gern einen Durchsuchungsbefehl für das Gant-Ag-Anwesen und Alec Gantners Privatwohnung, weil eine Detektivin einem unserer angesehensten Bürger einen Brief gestohlen hat und sie es für möglich hält, daß die Sicherheitskräfte von Gant-Ag ihr aufgelauert haben, um ihn wiederzubekommen?«
Mein Kopf begann wieder zu pochen. »Ich erwarte gar nichts von dir. Hab' ich dich jemals gebeten, mir aus irgendeinem Schlamassel rauszuhelfen?« »Nein, Baby. Aber genau das macht mich rasend. Wenn du mit mir reden würdest, bevor du bis zum Hals in der Scheiße steckst, könnten wir vielleicht einen Weg finden, wie du das, was du möchtest, kriegst, ohne daß du irgendwo einbrechen, Leute bestehlen oder selber eins auf den Deckel kriegen mußt.« Die aufgemalten Blumen auf den Fliesen hinter dem Waschbecken begannen, sich in einer Brise, die nur sie spürten, zu neigen und zu wippen. »Wenn ich mit dir geredet hätte, hättest du versucht, mich davon abzubringen. Und dann wüßte ich jetzt gar nichts.«
»Was? Was würdest du nicht wissen?«
»Zum Beispiel, daß es eine Verbindung zwischen Gantner und Fabian gibt. Oder daß Jasper einen Haufen Geld im Büro rumliegen hat. Möglicherweise finde ich raus, wer Deirdre ermordet hat, während ihr immer noch versucht, ihre arme Tochter zu finden.«
»Hör zu, Vic. Wenn ich auf deine Art Beweise gegen den Mörder beschaffe, kommt der ungeschoren davon, weil die Beweise nichts wert sind. Du hast doch Jura studiert, oder?«
Ich wurde rot. So hatte ich mir das nicht gedacht - daß ich mir von einem Bullen sagen lassen mußte, was ich zu tun oder zu lassen hatte. Schließlich war ich eine progressive Privatdetektivin. »Bist du noch dran?«
»Ja, aber das, was du gesagt hast, hat mir die Sprache verschlagen. Du hast nämlich recht. Deshalb kann ich dir nicht widersprechen, das könnte ich nicht mal, wenn mein Kopf in Ordnung wäre, und das ist er nicht. Ich geh' jetzt wieder ins Bett. Viel Spaß in der Kirche morgen.«
»Glaub mir, Baby, ich spreche ein Gebet für dich und bitte die Engel, daß du dir in Zukunft öfter von mir in die Karten schauen läßt.«
Bus nach Rumänien
Kurz nach halb sechs weckten mich Lottys Finger an meinem Handgelenk und holten mich aus einem Traum, den ich unter Streß oft träume: Ich versuche, meine Mutter hinter dem Gewirr von Kanülen zu erreichen, die sie kurz vor ihrem Tod noch am Leben erhielten, aber die Schläuche sprießen und breiten sich aus wie Wurzeln und verwachsen zu einem Geflecht aus Plastik, das einen Wall zwischen ihr und mir bildet. »Tut mir leid, Liebeben. Ich muß in die Stadt - im Krankenhaus gibt's einen Notfall. Aber wo du schon mal wach bist - laß dich mal anschauen.« Sie prüfte meine Reflexe, hob meine Augenlider und hörte meinen Herzschlag ab. »In Ordnung. Ich spreche noch mal mit dem Radiologen wegen des EEGs, aber soweit ich das sehe, kannst du heute aufstehen, immer vorausgesetzt, du legst dich nicht wieder mit Schlägern an. Vergiß nicht, daß du viel trinken mußt, aber keinen Alkohol: Das ist das wichtigste.« Ein paar Minuten später hörte ich Max' Buick die Auffahrt hinunterfahren. Ich stand auf und zog mir mit steifen Armen den Morgenmantel an, den Max für mich bereitgelegt hatte. Im Gästebadezimmer am anderen Ende des
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