Engel im Schacht
auf, doch dabei durchzuckte mich ein so starker Schmerz, daß sich einen Moment das Zimmer vor meinen Augen drehte.
»Nein, Lotty, das kann ich nicht annehmen. Vielleicht tauchen die noch mal auf, und ich will nicht, daß du bei mir bist, wenn das passiert. Officer Neely versucht, Conrad zu finden. Außerdem wollt ihr doch ins Konzert.«
»Wir haben die Äolusmusik schon mal gehört und werden wahrscheinlich auch in Zukunft noch Gelegenheit haben, sie zu hören.« Lotty fühlte meinen Puls. »Ich weiß, was du denkst, Vic, aber diesmal will ich in einer gefährlichen Situation bei dir sein. Das ist meine eigene Entscheidung, du zwingst mich zu nichts.« »Aber jeder weiß doch, daß wir miteinander befreundet sind. Wenn die erfahren, daß ich bei dir bin, glauben sie sicher, du hättest das, wonach sie suchen. Sogar Terry Finchley wollte deine Wohnung durchsuchen, als es um Emily Messenger und davor um meine fehlenden Disketten ging.«
Wir diskutierten eine Weile darüber, bis Max sich einmischte. »Warum wollt ihr denn nicht zu mir? Da kann Lotty auf dich aufpassen, und ihr seid beide aus der unmittelbaren Gefahrenzone heraus.« »Aber Conrad...«, fing ich an.
»Conrad kann auch kommen, sobald Officer Neely ihn aufgespürt hat.« Max rief nach Neely und gab ihr seine Visitenkarte mit seiner Privatnummer. »Außerdem müssen wir die Sache deinem Zerberus erklären: Er sitzt schon ganz unruhig im Wartezimmer.« Ich überredete die Schwester, Mr. Contreras hereinzubringen. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu reden, so erleichtert und gleichzeitig aufgeregt war er. Ich entschuldigte mich bei ihm dafür, daß ich ihn in eine so gräßliche Situation gebracht hatte.
»Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, Süße, ich hab' schon Schlimmeres durchgemacht. War zwar nicht wie in An-zio, wo man das Feuer richtig auf uns eröffnet hat, aber wie ich Sie da auf dem Treppenabsatz habe liegen sehen und wie der Typ mich mit der Waffe bedroht hat ... ich hätte mich erschießen lassen sollen, statt so ein Theater zu machen.«
Ich nahm seine Hand und zog ihn näher zu mir heran. »Sie haben genau das Richtige gemacht. Was wäre gewesen, wenn er Sie erschossen und mich schwer verletzt hätte? Wer würde sich dann um die Hunde kümmern?«
»Ach, Süße, machen Sie sich bloß nicht lustig über mich. Ich weiß, daß ich Sie im Stich gelassen habe, weil ich nicht aufgepaßt habe, wer ins Haus kommt, und dann habe ich mich nicht mal gewehrt. Wissen Sie, die haben bei den Lees geklingelt, und weil die nicht so gut Englisch können - die Kinder waren nicht da -, haben die Lees den Typen einfach aufgemacht. Ich hätte rausgehen und schauen sollen, statt vor dem Fernseher kleben zubleiben. Kein Wunder, daß Sie mir nie erzählen, was Sie vorhaben.« Endlich gelang es mir, ihn zu beruhigen. Zwar gefiel ihm die Nachricht, daß sich Lotty und Max um mich kümmern wollten, nicht, aber er mußte dann doch einsehen, daß Lotty bedeutend mehr Fachwissen hatte als er.
Bevor wir das Krankenhaus verließen, versuchte Mary Louise Neely noch einmal, aus mir herauszubekommen, was die Typen bei mir gesucht haben könnten, doch mir fiel einfach nichts ein. Jasper - aber ich hatte nichts aus seinem Büro mitgehen lassen. Wenn er mich hätte umbringen wollen, weil ich das Geld gesehen hatte, wäre ich mittlerweile tot.
Neely wollte mich begleiten, wenn ich meine Zahnbürste holte; vielleicht half der Anblick meiner Wohnung meinem Gedächtnis auf die Sprünge. Lotty widersprach vehement.
»Dr. Herschel, wenn wir nicht wissen, wonach die gesucht haben, wissen wir auch nicht, ob Vic - Ms. Warshawski - sich noch in Gefahr befindet. Wenn sie etwas gefunden und mitgenommen haben, müssen wir uns nicht mehr so große Sorgen machen, daß ihr bei Mr. Loewenthal etwas Ähnliches passieren könnte.« Dagegen konnte Lotty wenig einwenden. Den Arm um Mr. Contreras' Schultern gelegt, verließ ich die Notaufnahme mit langsamen Schritten. Der brennende Schmerz hatte etwas nachgelassen; sogar die Beule schien ein wenig kleiner geworden zu sein - sie fühlte sich jetzt eher wie eine Grapefruit an, nicht mehr wie eine Honigmelone. Der Arzt hatte meine Rippen mit einem Klebeband fixiert - eine war angebrochen. Eigentlich war ich für das, was ich durchgemacht hatte, in ganz guter Verfassung. Zum Glück hatte Max Lotty hergefahren: Eine Fahrt mit Lotty am Steuer hätte mein Kopf wahrscheinlich nicht überstanden. Mr. Contreras und ich kletterten auf den Rücksitz
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