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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Flurs stellte ich mich dann unter die heiße Dusche und bewegte meine Arme langsam und vorsichtig, bis ich sie über den Kopf heben konnte. Danach massierte ich mir die verspannten Muskeln im Nacken. Nach einer Viertelstunde hausgemachter Hydrotherapie ging ich wieder ins Gästezimmer zurück und machte ausführliche Dehnübungen. Es kostet ganz schön viel Überwindung, mit schmerzenden Knochen Gymnastik zu machen, aber die Schmerzen verschwinden viel schneller wieder, wenn man die Durchblutung kräftig ankurbelt. Als ich in die Küche hinunterkam, trank Max gerade eine Tasse Kaffee und las dabei die New York Times. Er hatte Lotty in die Stadt gefahren, weil sie ihren eigenen Wagen nicht dabeihatte und er Lottys Fahrkünsten nicht vertraute; seinen Buick wollte er ihr nicht leihen.
    »Du siehst gut aus heut morgen, Victoria. Hast dich ja schnell erholt. Kaffee?«
    Ich trank das heiße Gebräu, während Max mir einen Bagel toastete. Max wollte mir einen Teil seiner Zeitung geben, aber ich interessierte mich an jenem Morgen weder für New Yorker Lokalnachrichten noch für Neuigkeiten aus Jugoslawien, und die Times hat einen miserablen Sportteil. Nachdem ich ihm vielleicht fünf Minuten beim Lesen zugeschaut hatte, fragte ich ihn, wann er Lotty wieder abholen wollte.
    »Ich hole sie nicht ab. Ich habe sie zu ihrer Wohnung gefahren, und sie hat ihren Wagen genommen. Hättest du etwas gebraucht?«
    »Ja, meinen eigenen Wagen. Ich muß noch ein paar Sachen erledigen.«
    Max legte die Zeitung weg. »Du darfst nicht fahren, Victoria. Nicht nach der Schlägerei gestern. Warum fragst du nicht Conrad, ob er dich chauffiert?«
    »So früh kann ich ihn nicht aufwecken - außerdem ist er bei seiner Mutter.« Der eigentliche Grund war unser Gespräch vom Vorabend, aber das sagte ich Max nicht.
    »Und das, was du zu erledigen hast, kann nicht warten?«
    Während ich an einem Glas Orangensaft herumfingerte, erklärte ich ihm, daß ich noch einmal zu der Baustelle zurückwollte, und zwar gleich, weil jetzt bestimmt noch niemand dort war. »Wenn ich bis morgen warte oder auch nur bis heute nachmittag, bis Conrad mich hinfahren kann, besteht die Gefahr, daß ich Anton oder Charpentier über den Weg laufe.«
    Das Licht, das sich in seiner Brille spiegelte, verbarg seine Augen und Gedanken vor mir. »Du weißt, daß Lotty dir einen solchen Ausflug nicht gestatten würde.« »Ich weiß: Deswegen haben wir auch die meiste Zeit ein gespanntes Verhältnis. Vielleicht setze ich mich nach diesem Fall zur Ruhe oder unterrichte Italienisch.« »Und irgendwie landest du dann als Italienisch-Lehrerin auch wieder in Schwierigkeiten, zum Beispiel mit der Banco Ambrosiano ... Wenn du unbedingt zu dieser Baustelle möchtest, fahre ich dich hin.«
    »Das wäre Lotty sicher auch nicht recht. Ich kann dich nicht in Gefahr bringen, nicht jetzt, wo sie endlich beginnt, mir zu verzeihen, daß ich das mit ihr gemacht habe.« »Es freut mich zu hören, daß es nicht um meine persönliche Sicherheit geht.« Max lachte bloß, als ich versuchte, ihm mit hochrotem Kopf zu widersprechen. »Wenn die Sache gefährlich werden könnte, darfst du nicht gehen. Und wenn nicht, fahre ich dich hin.«
    Ich kaute auf meinem Daumennagel herum. Wenn Anton und Charpentier dort waren, konnte es ziemlich scheußlich werden, und ich war nicht in der richtigen Verfassung, um mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Aber ich war mir ziemlich sicher, daß wir sie nicht treffen würden. Schließlich fragte ich Max, ob er die Baustelle von der hinteren Straße beobachten könnte, während ich an der Montrose Avenue wartete. Wenn er irgend jemanden dort sähe, würden wir sofort nach Evanston zurückfahren. »Ich glaube nicht, daß sie einfach auf ein unbekanntes Auto schießen würden, das an der Baustelle vorbeifährt«, pflichtete er mir bei.
    Nachdem er einen Zettel für Lotty geschrieben hatte, für den Fall, daß sie früher als erwartet zurückkäme, dirigierte er mich am Ellbogen hinaus zu seinem Wagen und auf den Beifahrersitz. »Uber den Lake Shore Drive?«
    »Edens Parkway - wenn wir die Cicero-Ausfahrt nehmen, kommen wir praktisch direkt bei der Baustelle raus.« Das Innere seines Wagens war genauso makellos wie sein Haus; ich entdeckte ein paar Krümel auf meinem T-Shirt und schnippte sie zum Fenster hinaus.
    Ich lehnte mich in den Sitz zurück. Max sagte ein paar Minuten lang nichts, aber als wir in die Dempster Road einbogen, die Straße, die zum Expressway führte, fragte er

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