Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
Unvorsichtigkeit hatte ich mir Samstagnachmittag das Kopfweh eingehandelt.
    Ich ging ans Telefon, um Phoebe anzurufen. Weil ich mein Adreßbuch nicht dabeihatte, wußte ich Phoebes Durchwahl nicht und mußte die Nummer der Zentrale von Capita l Concerns wählen. Doch dort meldete sich nur der Anrufbeantworter. »Wegen der Evakuierung unseres Gebäudes können wir Ihr Gespräch leider nicht persönlich entgegennehmen. Wenn Sie Ihren Namen, den Namen der Person, mit der Sie sprechen möchten, und Ihre Nummer hinterlassen, rufen wir Sie so bald wie möglich zurück.«
    Evakuierung des Gebäudes? Ich hielt den Hörer mit verständnislosem Blick in der Hand, bis mich der Piepston vom anderen Ende der Leitung aufschreckte. Ich legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, und ging in das kleine Wohnzimmer, wo Max seinen Fernseher stehen hatte.
    Mary Sherrod von Channel 13 stand im Hinterhof eines Gebäudes beim Chicago River. Die Kamera bewegte sich gerade von ihr zu einem Pickup Truck, der Schotter in den Fluß kippte.
    »Der Riß verläuft bei dem kleinen Strudel dort drüben. Im Moment versuchen städtische Arbeiter, diese Stelle von oben aufzufüllen. Noch können wir nicht sagen, wie groß das Loch ist; das ganze Ausmaß des Schadens läßt sich noch nicht feststellen. Für die Stadt mag das eine Katastrophe sein, aber die Frischverheirateten John und Kathy Beamish genießen den Blick von ihrem Logenplatz auf die Aktivitäten der entsetzten Bauingenieure.«
    Die Kamera schwenkte zu einem Paar in einer Badewanne. Der Mann grinste und prostete der Kamera mit einem Glas Weißwein zu. Ich schaltete um. Nach einer Weile wurde mir klar, was passiert war. Wasser strömte aus dem Chicago River in die Tunnels, die tief unter dem Loop verliefen. Die Wände, die den Flußlauf bestimmten, waren geborsten, vielleicht infolge der Arbeiten Anfang des Frühjahrs, als die Stege am Flußufer repariert worden waren. Das Wasser drang seit dem frühen Morgen in die Schächte.
    Ich hatte noch nie etwas von diesen Schächten gehört. Laut Aussagen eines Reporters waren sie um die Jahrhundertwende gebaut worden. Sie hatten ursprünglich die unterirdischen Kabel einer Telefongesellschaft aufnehmen sollen, doch sie waren so groß geworden, daß verschiedene Firmen mit Frachtkähnen Kohle und andere Materialien durch die Tunnels direkt zu den Büros transportierten. Zwar wurden diese Schächte schon seit Jahrzehnten nicht mehr für den Transport benutzt, aber sie eigneten sich wunderbar für die Verlegung der elektrischen Leitungen zu den modernen Hochhäusern.
    Channel 5 berichtete von hektischen Aktivitäten bei der Handelskammer. Alle Computer waren wegen einer Beschädigung der Stromversorgung abgeschaltet worden; niemand wußte, wann die Geschäfte weitergehen konnten.
    »Sie und ich wissen nichts von diesen Kellern unter den Kellern«, meinte der Reporter. »Sie liegen drei Stockwerke tiefer als die normalen Keller des Gebäudes. Wer schon einmal in Marshall Fields' >Down Under Store< gewesen ist, wird überrascht sein, daß es unter diesem unterirdischen Einkaufsparadies noch drei weitere Stockwerke gibt. Eins davon dient als Warenlager; die Geschäftsführer können nur beten, daß das Wasser nicht mehr weiter steigt.«
    Nicht alle Gebäude waren gleich stark betroffen, versicherte uns Beth Blacksin von Channel 13, aber trotzdem wurde der Loop evakuiert, bis die Stadt wußte, welche Häuser man ohne Risiko betreten konnte. Jedenfalls war der Strom in der Innenstadt ausgefallen, so daß heute niemand dort arbeiten konnte. Die nächste Einstellung zeigte den Loop als Geisterstadt. Weder Ampeln noch Straßenlaternen funktionierten, die Hochbahn stand still. Kein einziges Licht in den Wolkenkratzern. Ich schaute mir fasziniert die Bilder an und vergaß dabei kurzfristig meinen Zorn auf Phoebe. Beth Blacksin beschrieb nun die Tunnels selbst. »Im Rathaus kann niemand mit Bestimmtheit sagen, wie ausgedehnt das Tunnelnetz ist - ich habe Schätzungen gehört, die von knapp siebzig bis über hundertzwanzig Kilometer reichen. Und niemand weiß, wie viele davon derzeit unter Wasser stehen -insbesondere nicht im Rathaus, wo Arbeiter fieberhaft versuchen, wichtige Akten vom Keller in die höheren Stockwerke zu schaffen und dabei die Ratten zurückzudrängen.«
    Ich erschauderte unwillkürlich bei dem Gedanken an die Ratten, als Beth Blacksin weitere Bilder der Tunnels zeigte. Manche sahen aus wie alte Höhlen mit Kalkablagerungen und Schlamm, der

Weitere Kostenlose Bücher