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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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anderen Seite hörte ich Jessies mühsames Atmen. Die Ratten liefen um uns herum, aber ich war zu erschöpft, um sie zu verscheuchen. Ich schlief, als Mr. Contreras mit einem Polizisten zurückkam.

Für Dickschädel gibt's keine Regeln
    Jessie starb noch in der gleichen Nacht. Die Kinderärzte des Northwestern Hospital, wohin wir alle gebracht worden waren, gaben ihr Bestes, aber die schlechte Ernährung und die Feuchtigkeit hatten ihre Lungen bereits zu sehr geschädigt. Lotty erzählte es mir, bevor sie wegfuhr, um ihre eigene Runde im Beth Israel zu machen. Trotz meiner zusammenhanglosen Proteste hatten die Arzte mich über Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus behalten. Lotty - die ich auf den Formularen der Notaufnahme als meine behandelnde Arztin angegeben hatte - hatte sie, sehr zu meiner Verärgerung übrigens, telefonisch auf meine noch frische Kopfverletzung hingewiesen und durch diese Information die Entscheidung der Arzte unumstößlich gemacht.
    »Und machen Sie doch gleich eine vollständige neurologische Untersuchung, wenn Sie schon dabei sind«, hatte sie ihnen aufgetragen. »Und was ist aus deiner Überzeugung geworden, daß Patienten ein Mitbestimmungsrecht bei ihrer Behandlung haben sollten?« hatte ich sie gefragt, nachdem es mir endlich gelungen war, dem Pfleger den Telefonhörer wegzunehmen. »Das gilt nicht für Dickschädel, meine Liebe, sondern nur für Menschen, die nicht unbedingt mit einem gebrochenen Bein den Mount Everest besteigen wollen.« Sobald ich aufgelegt hatte, wußte ich, daß sie recht hatte. Ich war so erschöpft, daß ich mich nicht rühren konnte, wie hätte ich mich da vor jemandem schützen wollen, der mit einer Waffe auf mich losgegangen wäre? Ich riß mich gerade noch lange genug zusammen, um eine Nachricht für Conrad zu hinterlassen. Dem Beamten im Revier erklärte ich, daß er ihm unbedingt sagen solle, ich befinde mich im Northwestern Hospital, dann ließ ich mich von den Pflegern auf die Tragbahre hieven. Hin und wieder schreckte ich hoch, wenn Leute mich wuschen oder mir Blut abnahmen, aber den größten Teil des Abends schlief ich so tief, daß ich nicht einmal aufwachte, wenn der Blutdruck oder die Temperatur gemessen wurde. Conrad war gegen sieben Uhr abends vorbeigekommen – ich fand einen Zettel von ihm an einem Strauß Gänseblümchen, als ich aufwachte -, aber nicht einmal das hatte ich gemerkt.
    Etwa um vier Uhr morgens wachte ich endgültig auf. Nach anfänglicher Verwirrung darüber, wo ich mich befand, fielen mir die Ereignisse der letzten Wochen wieder ein. Ich wälzte mich im Bett hin und her, machte mir Sorgen um Mr. Contreras und die Kinder, dachte über den Mord an Deirdre und die Rumänen nach und fragte mich, was ich als nächstes unternehmen sollte, bis Lotty kurz nach sechs mein Zimmer betrat. »Du hast also wieder mal recht gehabt.« Ich wandte mich ab, als sie mir vom Tod Jessies berichtete. »Ich hätte die Hawkings' nicht da unten im Keller lassen dürfen, als ich sie gefunden habe. Wenn ich Conrad gerufen hätte, wie du es mir geraten hast, wäre das Mädchen vielleicht noch am Leben.«
    Lotty setzte sich neben mich aufs Bett. Ihre dunklen Augen wirkten groß in ihrem lebhaften Gesicht. »Das kann man nie wissen, Vic. Ich war an dem Abend damals ziemlich erregt, und ich hätte nicht ... schließlich haben wir auch nicht richtig gehandelt, als wir sie dabehalten wollten, nachdem du sie ins Krankenhaus gebracht hattest. Außerdem meint Conrad, daß man die Verbindung zwischen den Tunnels und dem Keller mit ziemlicher Sicherheit nicht gefunden hätte, wenn du nicht danach gesucht hättest.«
    Nachdem es Conrad nicht gelungen war, mich aufzuwecken, hatte er Lotty angerufen, damit sie sich um mich kümmerte - da wir nicht verheiratet waren, weigerten sich die Arzte im Krankenhaus, ihm Auskunft zu geben. Er erzählte Lotty, er und Finchley hätten beim Pulteney vorbeigeschaut, um herauszufinden, warum Finchleys Suchmannschaft den Eingang zu den Schächten bei der Suche nach Tamar am Morgen nach Deirdres Tod nicht gefunden hatte. Als sie den Zugang hinter dem Boiler entdeckten, waren sie erstaunt, daß Mr. Contreras und ich ihn überhaupt gesehen hatten.
    »Wir haben ein Kind verloren, Vic«, fuhr Lotty fort, »aber sechs andere Menschen sind am Leben, die jetzt tot wären, wenn ihr nicht gewesen wärt. Mr. Contreras scheint heute morgen übrigens in Kampfstimmung zu sein. Die Arzte wollten ihm ein paar Spritzen gegen Tollwut verpassen wegen der

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