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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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zu können. Sie wird sie nicht hergeben.«
    »Das war keine Drohung, Vic, sondern die Realität. Sie wollen ihr die Kinder nicht wegnehmen, aber sie kann nicht weiter in Kellern leben mit ihnen.«
    »Leider ist Tamar Hawkings da anderer Meinung.« Meine Schultern waren so schwer, als hätte jemand Bleigewichte daran befestigt. »Ich schaue mal nach, ob sie wieder hier ist. Und ich gebe eine Vermißtenmeldung bei der Polizei auf. Aber ich weiß nicht, wie wir sie daran hindern können, wieder abzuhauen. Sollen wir sie vielleicht ins Gefängnis stecken? Wir müssen einen Ort finden, wo sie mit den Kindern hinkann.« »Dazu fällt mir ein chinesisches Sprichwort ein«, meinte Lotty in ihrem trockensten Tonfall: » Wenn du jemanden vor dem Ertrinken rettest, bist du dein ganz es Leben für ihn verantwortlich «
    Mit diesem unheilverkündenden Ausspruch legte sie auf.
     

Kotz und Co.
    Der Rest des Tages verlief wie ein verwaschener Alptraum und kulminierte in einem Chef d'ceuvre, Deirdres Abendeinladung. Jegliche Hoffnung, Tamar Hawkings' Probleme dort zu lösen, schwand beim ersten Anblick meiner Gastgeberin. Ich kam ungefähr eine Stunde zu spät in ihrer Villa in der South Side an und konnte von Glück sagen, daß es nicht noch später geworden war. Nachdem Lotty aufgelegt hatte, hatte ich Kevin Whiting angerufen, einen befreundeten Beamten in der Abteilung, die die Vermißtenanzeigen bearbeitete. Tamar, so erklärte er mir, war im engeren Sinne des Wortes natürlich nicht vermißt - schließlich war sie erst seit einer Stunde abgängig. Aber er versprach, die Loop-Patrouillen zu benachrichtigen, für den Fall, daß sie wieder zurück ins Pulteney kam.
    Schon ein paar Minuten später rief Whiting zurück: Tamar Hawkings war bereits vermißt gemeldet. Leon Hawkings, der in der West Ninety-fifth Street wohnte, hatte die Behörden vor sechs Monaten informiert, daß seine Frau zusammen mit drei Kindern verschwunden sei. W enn sie also zufällig gefunden w urde, würde ihr Mann als erster davon erfahren.
    »O nein, Kevin - das könnt ihr doch nicht machen. Schließlieh ist sie ja deswegen weggelaufen, weil ihr Alter sie und die Kinder geprügelt hat.« Ich ging davon aus, daß sie die Wahrheit sagte - warum sollte sie sonst ein solches Hundeleben führen? »Kannst du mir einen Gefallen tun und nachschauen, ob ihr da schon mal was zu tun hattet - wegen Ruhestörung, Gewalt in der Familie oder so?« »Stehe ich jetzt bei dir auf der Gehaltsliste, Warshawski? Du weißt doch, daß wir keinen Computer haben. Ich kann das hier nicht nachprüfen. Du mußt schon zum zuständigen Revier und dich da erkundigen.«
    Ich nagte an meiner Unterlippe. »Kannst du die Jagd abblasen, bis ich mir ganz sicher bin? Ich will der Frau nicht noch mehr Kummer machen.« »Die sind doch immer noch vermißt, oder? Warum sollten wir dann den Mann benachrichtigen? Beweg mal deinen Hintern rüber nach Chicago Lawn und frag im Revier nach. Wenn irgendein Streifenpolizist eine Familie sieht, auf die die Beschreibung paßt, kannst du sie dir anschauen, bevor wir ihren Alten verständigen.« »Danke, Kevin, du bist ein Schatz.«
    Die Wahrheit sah anders aus: Er war faul. Er hatte nichts dagegen, wenn er den besorgten Verwandten nicht benachrichtigen mußte, denn das brachte Termine und Formulare mit sich. Ich rief bei Chicago Lawn an, aber da draußen kannte ich niemanden, und heutzutage bekommen Privatschnüffler nicht mehr so leicht Gratistips. Ich dachte eine Weile daran, Conrad um Hilfe zu bitten, entschied mich aber dann dagegen. Wenn ich herausfand, daß sich Tamar Hawkings nie offiziell über ihren Mann beschwert hatte, half mir das auch nichts. Schließlich ruft nicht jede mißhandelte Frau die Polizei. Letztlich tun das die wenigsten. Sie kommen nur immer wieder in die Notaufnahmen der Krankenhäuser und erzählen, sie seien die Treppe hinuntergefallen oder gegen eine Tür gelaufen.
    Ich rief Marilyn Lieberman, die Geschäftsführerin von Arcadia House, an. »Du erinnerst dich doch noch, daß ich was von einer Obdachlosen in meinem Keller erzählt habe, oder?«
    »Klar. Du wolltest sie mir aufhalsen, und ich hab' dir gesagt, es geht nicht. Daran hat sich nichts geändert.«
    »Und was ist, wenn ich dir sage, daß sie vor einem gewalttätigen Ehemann weggerannt ist?«
    »Stimmt das auch?« wollte Marilyn wissen.
    »Sie sagt es jedenfalls. Und wir sagen doch immer, daß wir den Frauen glauben, oder?« Marilyn stieß einen langen Seufzer aus. »Mein

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