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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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vorzustellen, welches der Krankenhäuser in der Gegend wohl auf eine solche Familie am wenigsten abschreckend wirken würde.
    »Das geht nicht«, herrschte sie mich an. »Sie können sie nicht ins Krankenhaus bringen. Sie wissen doch, was dann passiert: Die rufen die Polizei, dann werde ich wegen Vernachlässigung der Kinder festgenommen, und wer kümmert sich dann um sie?«
    »Sie haben keine Verwandten, die sich um sie kümmern könnten? Was ist mit ihrem Vater?«
    »Wer sind Sie denn? Vielleicht eine Sozialarbeiterin? Ihr Vater hat mich verprügelt, immer wieder, aber das war nicht so schlimm. Wie er allerdings angefangen hat, auch Jessie zu verdreschen, habe ich mir gesagt, jetzt reicht's. Wenn Sie sie ins Krankenhaus bringen, heißt das, Sie schicken sie wieder zurück zu ihrem Vater, weil der eine feste Arbeit hat und sich um sie kümmern will. Ich weiß, wie er sie anschaut, aber kümmern t ut er sich nicht um sie. Da geht sie mir nie wieder hin, damit Sie das nur wissen. Sie haben was von einem Arzt gesagt, der sie umsonst behandelt, nichts von einem Krankenhaus.« »Okay. Kein Krankenhaus.«
    Ich rief in Lottys Klinik an. Der Anrufbeantworter teilte mir mit, ich solle es in der Notaufnahme des Beth Israel versuchen. Ich legte auf und wählte Lottys Privatnummer. Ich wußte nicht, ob ich erleichtert sein sollte oder nicht, als sie abhob. Dann sagte ich ihr, daß ich die obdachlose Familie gefunden habe und daß sie dringend medizinisch versorgt werden müsse.
    Sie klang nicht enthusiastisch, aber niemand, der so hart arbeitet wie Lotty, würde sich über so eine Bitte freuen. Sie sagte, ich solle die drei ins Beth Israel schicken. Als ich ihr erklärte, daß die Frau sich weigerte, in ein Krankenhaus zu gehen, seufzte sie müde und versprach, uns in der Klinik zu empfangen.
    Als sie aufgelegt hatte, wandte ich mich wieder der Frau zu. »Okay. Eine Ärztin - eine der besten in ganz Chicago. Kein Krankenhaus. Keine Formulare. Holen Sie Jessie und kommen Sie wieder her. Ich muß noch ein paar Sachen erledigen.« »Aber Sie rufen nicht die Polizei.« Das war ein Befehl, keine Frage.
    »Nein. Ich muß einem Freund sagen, daß ich später komme. Und ich muß den Computer abstellen.«
    Sie blieb neben mir stehen, während ich mit Mr. Contreras redete und ihm erklärte, daß ich doch nicht mit den Hunden Spazierengehen könne, weil etwas dazwischengekommen sei. Als ich den Computer abschaltete, ging die Frau, um ihre Kinder zu holen. Während sie im Foyer warteten und Jessie nach Luft schnappte, fuhr ich mit einem Taxi über den Loop, um meinen Wagen zu holen.

Wie gewonnen, so zerronnen
    »Diese Kinder müssen eine Woche ins Krankenhaus, um sich von der Austrocknung und der schlechten Ernährung zu erholen, ganz zu schweigen von den Lungenproblemen, die sie haben«, sagte Lotty in strengem Tonfall.
    Sie hatte sich Jessie in der Klinik angeschaut und - nachdem sie ihr Epinephrin verabreicht hatte, um ihr das Atmen zu erleichtern - dann im Beth Israel angerufen, damit man sofort alles für die Aufnahme des Kindes vorbereitete. Anschließend hatte sie mich angewiesen, die Kinder zu baden, während sie sie nacheinander untersuchte. Ohne die Schichten schmutziger Kleider standen ihnen die Knochen heraus wie den Verhungernden in katastrophengebeutelten fernen Ländern.
    Während Lotty auf Gelenke klopfte und die Brust der Kinder abhorchte, steckte ich ihre Kleidung in Lottys Waschmaschine im Büro. Dabei entdeckte ich einen gelben Pullover, der mir bekannt vorkam - einer von denen, die ich in der Tüte hinter den Boiler gestellt hatte. Er sah bereits genauso verdreckt aus wie die anderen Sachen. »Die Lady hier hat mir versprochen...«, fing die Mutter an.
    »Vic hat's gut gemeint, aber sie ist keine Ärztin. Es wäre eine Todsünde, wenn ich Sie mit den Kindern wieder in den Keller lassen würde.«
    Die Mutter stieß ein gequältes »Nein« aus, sagte aber nichts weiter. Ich erzählte kurz, was sie mir über den Vater der Kinder gesagt hatte.
    »Es muß doch jemanden geben, an den Sie sich wenden können, wenigstens wegen der Adresse«, meinte Lotty. »Ich verlange ja gar nicht, daß Sie die Kinder wieder zu Ihrem gewalttätigen Mann bringen, aber Sie müssen auch verstehen, daß das Leben so für sie unerträglich ist.«
    »Ja glauben Sie denn, daß ich nicht bei diesem Jemand wäre, wenn es einen solchen Jemand geben würde?« Dabei wischte sich die Frau die Zornestränen weg.
    »Hören Sie«, sagte Lotty. »Es gibt

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