Engel im Schacht
Frauenhäuser für Frauen mit Kindern. Ich werde versuchen, Sie in einem davon unterzubringen. Und ich verspreche Ihnen, daß ich nicht die Polizei informiere. Wir geben einfach Vics Adresse an - du kannst ihre Tante spielen, meine Liebe -, das ist doch genau die richtige Rolle für dich.«
»Na schön, touche.« Ich wandte mich der Frau zu. »Dann spiele ich eben das Tantchen Ihrer Kinder. Aber Sie müssen auf Dr. Herschel hören. Wenn Ihre Kinder sterben, verlieren Sie sie für immer, wissen Sie, nicht bloß für die Zeit, in der jemand anders sich um sie kümmert.«
Das gefiel der Frau zwar nicht, aber sie merkte, daß wir nicht vorhatten, klein beizugeben. Lotty entlockte ihr sogar ihren Namen, während wir darauf warteten, daß die Kleider trockneten: Tamar Hawkings. Während die Frau mit argwöhnischem Blick zuschaute, rief Lotty bei den Frauenhäusern an und erklärte Tamars Fall. Alle waren hoffnungslos überfüllt, aber sie versprachen, die Hawkings ganz oben auf die Warteliste zu setzen.
»Vic telefoniert morgen weiter. Aber jetzt müssen Sie ins Krankenhaus.«
Das Gesicht der Mutter wirkte plötzlich hoffnungslos und verzweifelt. Als Lotty noch einmal im Beth Israel anrief und mit dem zuständigen Arzt in der Notaufnahme alle nötigen Einzelheiten besprach, hörte Tamar Hawkings mit angestrengtem Gesicht zu, als wolle sie wirklich ganz sichergehen, daß Lotty sie nicht an die Behörden verriet. Ich persönlich war mir ziemlich sicher, daß die Leu te im Krankenhaus sich mit eben diesen Behörden in Verbindung setzen würden, denn niemand konnte sich diese aufgeblähten Bäuche und krummen Beine anschauen, ohne sofort die entsprechenden Stellen zu informieren. Und danach? Würden sie wieder zu ihrem Vater zurückmüssen? Lotty machte sich daran, ihr Büro abzuschließen. »Der Arzt heißt Dr. Haroon; er hat versprochen, mit der zuständigen Schwester zu sprechen. Wenn's Probleme gibt, dann frag nach Rosa Kim. Ich schau' mir die Kinder morgen früh noch mal an. Und wo sollen wir Mrs. Hawkings heute nacht unterbringen?« Ich verzog das Gesicht. »Tja, sie könnte ja mit zu mir kommen.« Tamar Hawkings schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Darauf fall' ich nicht rein. Sie trennen mich nicht von meinen Kindern. Ich kenne meine Rechte: Ich weiß, daß die Mutter im Krankenhaus bei ihren Kindern bleiben darf.«
Während der kurzen Fahrt zum Beth Israel sagte sie kein Wort. In der Zwischenzeit hatte es zu regnen begonnen, ein eiskalter Regen, der sich mit Schnee vermischte und das Fahren zu einer heimtückischen Angelegenheit machte. Ich spürte die Angst der Kinder hinter mir. Angesteckt von der Angst ihrer Mutter redeten sie nichts, aber die Anspannung in ihren kleinen Körpern übertrug sich auf die Sehnen in meinem Nacken. Da Tamar Hawkings weder eine Green Card noch einen Bürgen hatte, verliefen die ersten Minuten, die wir in der Notaufnahme verbrachten, ziemlich chaotisch. Endlich spürte ich Schwester Rosa Kim auf, die die Sache fähig, wenn auch ziemlich unpersönlich in die Hand nahm. Das Beth Israel war das größte Krankenhaus in Uptown; Kim war es gewöhnt, mit Notfällen aller Art fertig zu werden, bei denen die Betroffenen nicht versichert waren. Als sie Tamar versprach, sie würde die zuständigen Behörden nur dann informieren, wenn sich unerwartete Probleme ergäben, glaubte ich, gehen zu können.
Ich rief Lotty vom Foyer aus an, um ihr zu danken.
»Vic, warum hast du nicht sofort Hilfe geholt, als du sie gestern gefunden hast? Die Kinder befinden sich in einem schrecklichen Zustand.«
»Ich habe ihr Hilfe angeboten, aber sie wollte sie nicht. Ich hätte bloß die Polizei rufen können, und das wäre ein Vertrauensbruch gewesen. Außerdem hat sie sich gut versteckt - ich hab' sie erst wiedergesehen, als sie plötzlich bei mir im Büro stand.« »Trotzdem wäre es die einzige verantwortungsbewußte Reaktion gewesen, die Polizei zu rufen. Du weißt, daß ich nicht viel davon halte, wenn sich die Polizei in das Leben der Leute einmischt, aber in solchen Situationen kannst du dich nicht einfach zu einem Gott aufspielen.«
»Immer mit der Ruhe, Lotty. Nach zwei Tagen hat Tamar gemerkt, daß sie mir vertrauen kann, also ist sie aus freien Stücken zu mir gekommen. Und jetzt werden die Kinder so versorgt, wie es nötig ist. Ich glaube nicht, daß das selbstherrliches Verhalten war. Das bedeutet nur, daß ich der Mutter eigenverantwortliches Handeln zutraue.« »Aber gestern abend hättest du
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