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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Polizei meinetwegen Überstunden machen mußte.
    »Sie hätten nur auf mich zu hören brauchen«, sagte ich laut. »Das kommt davon, wenn man Frauen nicht zuhört.«
    »Genau, Mädel.« Ich hatte gar nicht gemerkt, daß die Kellnerin nahe genug bei mir gestanden hatte, um das, was ich sagte, zu verstehen. »Diese ganze verdammte Welt wäre besser dran, wenn die Männer mal auf die Frauen hören würden.«

Die neununddreißig Stufen
    Am Morgen packte ich alle wichtigen Dinge in einen Aktenkoffer und ging zur Clark Street, um von dort aus einen Bus zum Loop zu nehmen. Ich stieg an der Madison Street aus, knapp einen Kilometer vom Gateway-Gebäude entfernt. Einige Geschäfte im Loop waren zwar schon wieder geöffnet, aber auch die Wolkenkratzer, in denen der Strom nicht ausgefallen war, mußten warten, bis die Tunnels trocken und somit die Fundamente wieder sicher waren. Die Stadtverwaltung hatte die Straßen in der Innenstadt gesperrt, wo am stärksten abgepumpt wurde, so daß sich die Autos in den Schleichwegen stauten. Das Chaos verschlimmerte sich durch die Tatsache, daß die Ampeln nach wie vor nicht funktionierten. Wütende Polizisten versuchten, den Verkehrsteilnehmern so etwas wie Ordnung aufzuzwingen. Ein paar der Gebäude westlich des Flusses waren hell erleuchtet, weil die Arbeiter sich bereits darin zu schaffen machten, aber zu meiner Erleichterung gehörte das Gateway nicht dazu. Seine dunklen Fenster hoben sich kaum vom grauen Himmel ab. Der Wachmann im Foyer ließ mich herein, als ich an die Tür hämmerte und ihm einen alten Ausweis unter die Nase hielt, den ich am Abend zuvor in meinem Schrank gefunden hatte. Darauf hieß es, ich sei im offiziellen Auftrag von Cook County unterwegs.
    »Ich soll auf allen Stockwerken, auf denen Eßbares zubereitet wird, nach Nagetieren Ausschau halten. Können Sie mir sagen, wo ich anfangen soll? Vielleicht möchten Sie mich ja auch begleiten. Wir haben gehört, in den Gebäuden hier soll es Ratten geben, so groß wie Biber.«
    Der Wachmann wehrte eiligst ab und erklärte mir dafür, die Kantine für die leitenden Angestellten befinde sich im fünfunddreißigsten Stock, die Cafeteria im Kellergeschoß.
    Wie erhofft, hielt ihn der Gedanke an riesige Ratten davon ab, meinen Ausweis allzu genau anzusehen: Er war von einem Mann unterzeichnet, der schon seit drei Jahren nicht mehr in der Kommunalpolitik tätig war.
    »Sie müssen zu Fuß in den fünfunddreißigsten Stock«, warnte er mich. »Wir haben im Moment keinen Strom hier.«
    Ich stöhnte. »Ist die Kantine für die leitenden Angestellten im gleichen Stock wie ihre Büros? Ich möchte mich so schnell wie möglich mit Donald Blakely oder Eleanor Guziak unterhalten, wenn ich etwas Ernstes finde.«
    »Im Augenblick darf hier niemand arbeiten, Miss, weil es zu gefährlich ist. Mr. Blakely und die Leute aus seinem Büro haben die wichtigen Unterlagen am Dienstag abgeholt. Sie hätten mal sehen sollen, wie die die neununddreißig Stockwerke hoch sind. Ein paar von den jüngeren Leuten haben schon auf halber Höhe schlappgemacht, aber Mr. Blakely nicht, der ist immer in Topform.«
    »Ich hoffe, daß ich ihm in nichts nachstehe.« Ich lächelte und folgte seinen Anweisungen in Richtung der Treppe.
    Dann ging ich die Stufen langsam und gleichmäßig hinauf und blieb immer wieder mal stehen, um meine Wadenmuskeln zu entlasten. Auf jedem zweiten Stockwerk brannten Notlichter, so daß ich die Etagennummern an den Türen in geisterhaftem Licht lesen konnte.
    Etwa im vierzehnten Stock ließ ich meinen Aktenkoffer stehen und steckte meine Dietrichsammlung und die Chirurgenhandschuhe in die Taschen. Im einundzwanzigsten Stock brannten meine Beine wie Feuer. Nach dem dreißigsten Stockwerk mußte ich mich nach jeder Treppe eine Weile hinsetzen und ausruhen. Als ich endlich an der Tür mit der Aufschrift »neununddreißig« war, fühlten sich meine Beine an wie Gummi. Ich legte mich zehn Minuten lang flach auf den Boden und stemmte meine Füße gegen den Türpfosten, bis das Brennen in den Waden nachgelassen hatte. Als ich wieder einigermaßen auf dem Damm war, wankte ich den Flur bis zu Blakelys Büro entlang.
    Plötzlich ertappte ich mich dabei, wie ich auf Zehenspitzen an den leeren Büros vorbeischlich. Ein Ort, dessen einziger Sinn darin besteht, viele Leute aufzunehmen, die dort hektisch Geschäfte tätigen, erscheint nicht nur verlassen, sondern auch lächerlich, wenn sich niemand dort aufhält. Fast hätte ich die Wände des

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