Engel im Schacht
Drogen, Sie wissen schon, aber kein Rock'n'Roll.« Sie lachte bitter. »Vor meinem achtzehnten Lebensjahr war ich dreimal schwanger. Beim drittenmal hat mich die Abtreibungsklinik zu einer Beraterin geschickt. Daraufhin habe ich mit den Drogen aufgehört und mir eine Arbeit gesucht. Ich bin auf die Abendschule und hab' den High-School-Abschluß nachgeholt. Danach bin ich auf die Polizeischule. Meine Eltern habe ich seit dreizehn Jahren nicht mehr besucht. Mein Vater ist Geistlicher. Fast so was wie ein Heiliger in unserer Gemeinde. In den Gebetskreisen am Mittwochabend beten die Gläubigen zu Gott, daß Er meinem Vater hilft, seinen Kummer über seine Tochter zu bewältigen, die nie zu Hause anruft oder auch nie zu Besuch kommt.«
Ein einsamer Jogger lief am Wagen vorbei. Ich starrte seinen Beinen nach, bis Kleidung und Haut in der Ferne zu einem verwaschenen Grau verschwammen. »Das war ganz schön mutig von Ihnen, daß Sie sich so von zu Hause gelöst haben.« Sie sah mich zum erstenmal an, ziemlich grimmig. »Ich habe Ihnen meine Geschichte nicht erzählt, um Mitleid zu erregen. Ich bin zur Polizei gegangen, weil ich Schweine wie meinen Vater dingfest machen wollte. Verstehen Sie das nicht? Aber jetzt soll ich statt des Schweines das Opfer festnehmen. Das ist so, als würde ich mich selbst ins Gefängnis schicken. Oder noch schlimmer: in eine Nervenheilanstalt, wo ein Mädchen wie Emily eine Chance von eins zu tausend hat, heil wieder rauszukommen.« Ich dachte an all die Jahre, die ich Mary Louise Neely jetzt schon kannte - sie hatte sich immer kerzengerade gehalten und härter geschuftet als jeder andere Polizist, härter sogar als Conrad. »Die Polizei ist so etwas wie Ihre Familie gewesen, stimmt's? Was wollen Sie jetzt machen?«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie. »Wenn ich deswegen meine Kündigung einreichen muß, mache ich es - aber - was würden Sie in meiner Situation tun?«
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich glaube, eine Festnahme wäre im Moment die zweitschlechteste Lösung für Emily. Die schlimmste wäre ihre Ermordung. Vielleicht ist es aber noch schlimmer für sie, wenn sie wieder zu Fabian zurückmuß.«
»Wenn sie nur die Wahl hat zwischen Fabian und dem Gefängnis, landet sie mit hundertprozentiger Sicherheit Ecke Clark/Division«, platzte es aus Mary Louise Neely heraus. »Sie braucht einen sicheren Ort und eine Beraterin wie die meine. Bloß die ist nach Kansas, um dort zu graduieren.«
»Ich kenne eine gute Beraterin«, sagte ich langsam. »Und einen sicheren Ort. Aber ich weiß nicht, ob ich noch in Emilys Zimmer komme. Terry will die Krankenhausverwaltung bitten, eine Wache aufzustellen.«
Freilaufende Maus
Es war fast eins, als ich in meine Wohnung zurückkam. Ich war zu müde, um mir Sorgen darüber zu machen, ob Anton oder Gantner oder eine ganze Armee an meiner Wohnungstür auf mich wartete. Den Trans Am stellte ich draußen vor dem Haus ab und ging zur Tür, ohne einen einzigen Blick auf die Straße zu werfen. Drinnen ließ ich meinen Rucksack im Gang fallen, schaltete meine Alarmanlage ein und fiel ins Bett, ohne mich auszuziehen.
Als ich wieder aufwachte, war es dunkel. Ich lag im Bett und betrachtete durchs Fenster den Abendhimmel. Warum hörten Terry und Conrad mir nicht zu? War Finchley gegenüber Kajmowicz und Fabian so sehr im Zugzwang, daß er den für ihn einfachsten Weg wählte, sich auf Emily stürzte und Dinge wie den Angriff am Samstag oder den Zwischenfall vom Vorabend einfach ignorierte?
Ich war es leid, immer gegen alle kämpfen zu müssen. Damit handelte ich mir nur Beulen am Kopf, eine verwüstete Wohnung und Anschuldigungen von selbstgefälligen Kretins wie Zeitner ein.
Ich kletterte aus dem Bett und imitierte das Dröhnen eines Flugzeugtriebwerks. »Die Femikazes kommen. Aufgepaßt, Jungs! Haltet eure Schwänze fest und duckt euch!«
Das Brüllen erleichterte mich ein bißchen. Ich ging ins Wohnzimmer und begann, Unterlagen zu sortieren. Wenn auch nur einer der Musketiere verhaftet werden sollte, mußte ich ein lückenloses Protokoll des Weges erstellen, den das Geld bis zu Home Free nahm. Obwohl das immer noch nicht bewies, daß Deirdre etwas davon gewußt hatte. Ich versetzte vor lauter Frustration dem Klavierhocker einen Tritt. Ich hatte gerade die Bücher und Papiere im Wohnzimmer geordnet und wollte mich an den großen Schrank im Flur machen, als Fabian und Finchley mit einem Beamten, den ich nicht kannte, ankamen. Ich machte meine
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