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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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schon argwöhnisch wurde? Wenn ja, was würde er tun? Ohne Elektrizität konnte ich nichts fotokopieren. Ich mußte die Unterlagen hier durchsehen, heute war wahrscheinlich die letzte Gelegenheit dazu.
    Wie auf Kohlen blätterte ich die Papiere durch, nicht einmal sicher, wonach ich suchen sollte. Schließlich holte ich die Teile heraus, die mit Gant-Ags Schulden zu tun hatten. Fast am Ende befand sich ein Abschnitt über Steuern. Ach ja, und da war auch noch das Gegenstück zu G antners Brief an Fabian: die Bitte um Auskunft über Steuerfragen im Zusammenhang mit ausländischen Banken. Als ich es mir zusammen mit den Unterlagen in dem Sessel beim Fenster bequem gemacht hatte, hörte ich plötzlich ein Brummen im Hintergrund. In dem Büro war es mäuschenstill gewesen, doch anfangs hatte mich das Geräusch trotzdem nicht irritiert, weil es so normal für ein Büro war - es stammte von einem Aufzug. Ich fluchte. Wie befürchtet, war der Wachmann mißtrauisch geworden. Und wie befürchtet, hatte er tatsächlich einen Notlift.

Hinunter in den Schacht
    Ich machte die Schubladen zu, stopfte mir die Papiere, die ich gerade in der Hand hielt, hinten in die Jeans, schaute mich noch schnell um, um mich zu vergewissern, daß ich keine persönlichen Dinge zurückließ, und verschwand, die Tür hinter mir zuschlagend, so schnell meine müden Beine mich trugen. Zwar beklagten sich meine Kniesehnen, aber ich schenkte ihnen keine Beachtung. »Nimm die Beine in die Hand«, murmelte ich, »sonst kannst du dich die nächsten paar Jahre im Knast ausruhen.« Als ich beim Aufzug angelangt war, hörte ich das Brummen nicht mehr. Vielleicht hatte ich mich getäuscht. Oder vielleicht gab es noch einen Lift in einem anderen Teil des Gebäudes. Wenn ich die Treppen hinunterlief, bestand auf jedem Stockwerk die Gefahr, dem Wachmann zu begegnen, aber wenigstens konnte ich ihn dort auch hören. Ich wollte gerade wieder den Flur zurückgehen, als das Brummen erneut anhob. Ich lauschte an allen Türen und stellte fest, daß der Aufzug hinter der letzten Türe hinten links sein mußte. Ich sah mich nach einem Versteck um. Die Lifttür ging auf den Empfangsbereich der Managerbüros. Eine hohe Mahagonitheke trennte den Flur von dem Schreibtisch, an dem die Vorzimmerdame hofgehalten hatte. Das mußte als Deckung genügen. Als der Lift ächzend zum Stillstand kam, rannte ich zu der Theke, stützte mich mit der Hand ab und schwang mich darüber. Ich landete krachend auf einer im Schreibtisch eingebauten Telefonanlage und verkniff mir gerade noch einen Fluch. Schon glitten die Türen auseinander. Mit ein bißchen Glück würde der Wachmann meine Bruchlandung nicht bemerken. Ich hörte das Knistern eines Sprechfunkgeräts und das Ächzen eines Mannes, der sich bückte. Ich schlüpfte so leise wie möglich unter den Schreibtisch. Ein paar Sekunden später wanderte der Lichtkegel einer Taschenlampe über den Teppich hinter mir. Ich bekam einen Krampf im linken Bein, biß aber die Zähne zusammen. Das Licht verschwand. Die Schritte waren kaum wahrnehmbar auf dem dicken Teppich, doch da es sonst keinerlei Geräusche gab in dem Gebäude, hörte ich, wie der Wachmann sich raschelnd und mit knisterndem Sprechfunkgerät in die Richtung von Blakelys Büro bewegte. Während er sich mit dem Schlüssel am Schloß zu schaffen machte, streckte ich mein Bein aus und kroch aus meinem Versteck hervor. Ich nahm mir die Zeit, meine verkrampften Muskeln zu massieren, und spähte dann um den Schreibtisch der Empfangsdame herum. In dem Zwielicht konnte ich nicht erkennen, wo der Wachmann war und ob die Tür zu Blakelys Büro offenstand, aber das hatte den Vorteil, daß der Wachmann mich auch nicht sehen konnte.
    Auf Händen und Knien kroch ich über die freie Fläche zum offenen Aufzug hinüber. Der Wachmann hatte die Türen mit einem Holzkeil festgestellt, weil der Rufknopf nicht funktionierte und er sichergehen wollte, daß der Lift in diesem Stockwerk blieb. Ich stieg ein. Ohne Taschenlampe sah ich darin nicht die Hand vor Augen - es war schon draußen in dem fahlgrünen Licht der Notbeleuchtung schwierig genug gewesen, etwas zu erkennen.
    Mit zusammengekniffenen Augen entdeckte ich, daß der Wachmann die Verkleidung des Schaltbretts entfernt hatte, so daß der Lift nur mit Hilfe eines Schlüssels in Betrieb zu nehmen war. Mit zittrigen Händen fummelte ich im Dunkeln an meiner Dietrichsammlung herum. In der Ferne hörte ich Blakelys Tür zuschlagen. »Geduld, Victoria«,

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