Engel im Schacht
nicht genug aus den Eigentümern, um ihnen von dieser Frau zu erzählen. Sie hätten ja doch bloß die Polizei geholt und sie wegen Hausfriedensbruch festnehmen lassen.«
»Das wäre ihr gutes Recht gewesen«, meinte Gantner. »Eigentlich ist das doch ein Problem der Haftung«, sagte Eleanor Guziak. »Donald möchte, glaube ich, sagen, daß die Eigentümer dafür haften, wenn die Frau oder jemand anders sich verletzt, selbst wenn sie das Gebäude sträflich vernachlässigt haben.«
Ich war zwar nicht der Meinung, daß Donald das hatte sagen wollen, aber Eleanor befolgte nur das erste Gesetz des Arbeitnehmers: Stell den Chef immer besser hin, als er eigentlich ist. Donald unterstützte sie nach Kräften und wollte dann wissen, wo das Gebäude sich befand.
»Damit Sie die Polizei rufen? Nein danke. Außerdem ist die Frau verschwunden. Ich weiß nicht, ob sie zurückkommen wird, weil sie das Gebäude kennt, oder ob sie wegbleiben wird, weil sie Angst hat, festgenommen zu werden.« »Donald will nicht die Polizei rufen. Er will der Frau helfen, stimmt's nicht, Donald?« meinte Deirdre.
»Deirdre.« Fabians Stimme klang drohend.
»Nein, komm mir nicht mit deinem >Deirdre<. Ich weiß, wovon ich rede. Die Gateway Bank ist der größte Förderer von Unterkünften für Obdachlose in der Stadt. Das haben wir bei Home Free gesehen.« Sie hob ihr Glas und prostete Blakely zu. »Also kann Vic Donald ruhig ihre Geschäftsadresse geben. Es ist das Pulteney-Gebäude gleich in der Nähe der Monroe Street, stimmt's, Vic?«
Ich war überrascht, daß sie sich noch an meine beiläufige Bemerkung erinnerte, und wütend, daß sie mein ganz privates Problem plötzlich ins Licht der Öffentlichkeit zerrte.
Blakely lächelte Deirdre mit ausdruckslosem Gesicht an und warf dann Fabian einen Blick zu. »Das größere Problem sind die vielen Betrunkenen und Verrückten, die sich auf den Straßen rumtreiben.«
»Schon merkwürdig, daß sich die Zahl der Betrunkenen und Verrückten ausgerechnet in den letzten zehn Jahren so erhöht hat«, herrschte ich ihn an.
Gantner und Blakely taten so, als hörten sie mich nicht. Gantner wandte mir wieder den Rücken zu und referierte laut eine Studie der Konservativen, die bewies, daß der größte Teil der Obdachlosen sich freiwillig auf den Straßen herumtrieb. Ich ließ meine Gabel so heftig auf meinen Teller fallen, daß ein Stück Lachs davon hochsprang und auf meiner Seidenbluse landete. Als Ich aufstand, um einen der Bediensteten um ein Glas Wasser zu bitten, sah ich, daß Emily zuerst mich, dann Deirdre besorgt anschaute.
Ich ging zu ihr hinüber. »Was ist denn los, Süße? Machen Sie sich Gedanken, weil ich mich mit Ihren Eltern streite?«
Sie zupfte an den Enden ihrer zerzausten Haare herum. »Würde die Polizei die Mutter festnehmen, wenn sie sie fände?«
Wahrscheinlich war es nicht das, was ihr im Kopf herumging, aber ich gab ihr trotzdem eine ernsthafte Antwort. »Könnte schon sein. Die meisten Leute würden behaupten, daß sie eine schlechte Mutter ist, weil sie ihre Kinder in einem Keller untergebracht hat.«
»Und Sie meinen das nicht?«
»Ich weiß nicht genug über sie. Ich denke, vielleicht tut sie nur, was sie kann für die Kinder. Viele Alternativen wird sie nicht haben.« »Was haben sie dort gemacht?« murmelte sie.
»Sie meinen, wie sie da runtergekommen sind? Das weiß ich nicht - das habe ich mich auch schon gefragt. Ich habe mir heute noch mal den Keller angeschaut, aber ich habe keine versteckten Eingänge finden können.«
»Wovon lebt die Frau denn mit ihren Kindern?«
»Das weiß ich auch nicht, aber irgendwie treibt sie Essen für sie auf.«
»Sind die Ratten nicht gefährlich?« Sie bekam große Augen.
»Die Ratten lassen sie in Ruhe, solange sie etwas zu fressen haben«, antwortete ich überzeugter, als ich war. »Ich gehe oft in den Keller, um Kabel zu reparieren, und sie kommen mir nie zu nahe. Ich halte die Mutter für klug genug, daß sie den Kindern dort nichts zu essen gibt, wo die Ratten sind.«
Fabian musterte uns mit finsterem Gesicht von seinem Ende des Tisches. Emily, die sich auf mich konzentrierte, konnte ihn nicht sehen. »Aber was ist denn mit dem Vater? Was macht der?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er seinen Job verloren und schämt sich, weil er seine Kinder nicht ernähren kann.« Emily schien so bedrückt, daß ich sie nicht noch mit der Brutalität von Tarnars Mann belasten wollte.
»Emily!« schallte es von Fabian herüber.
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