Engel im Schacht
müssen, um so viele honorarträchtige Stunden wie möglich aus ihrem Tag herauszupressen« - höfliches Lachen -, »deshalb möchte ich euch jetzt allen danken, daß ihr gekommen seid. Nach Deirdres grandiosem Grand-Marnier-Souffle werdet ihr euch mein Gequassel sowieso nicht mehr anhören wollen.«
Er lächelte, ganz der perfekte Familienvater und Gastgeber. Natürlich hätten sie sich einen Partyservice leisten können, wurde mir jetzt klar, aber dann hätte sich Fabian nicht mit einer Frau brüsten können, die daheim blieb, um perfekte Souffles zu machen.
Er fuhr mit einem geschickten Toast auf Manfred fort. Als er zu sprechen anfing, wurden unsere Gläser mit Dom Perignon gefüllt. Offenbar war das Geld, das er am Whisky gespart hatte, für den Champagner ausgegeben worden. »Unsere kleine Zusammenkunft heute abend ist eine Referenz an Manfred und an die Gerechtigkeit im allgemeinen«, schloß Fabian. »Er hat Anwälte und Richter, Ankläger und Verteidiger gleichermaßen unterrichtet, und irgendwie ist es ihm gelungen, sowohl Liberale als auch Konservative heranzuzüchten. Manche von uns haben sich bitter bekämpft, aber, wie Shakespeare sagt: Heute sind wir zusammengekommen, um als Freunde miteinander zu essen und zu trinken und dem besten Freund, den wir und das Gesetz jemals gekannt haben, die Ehre zu erweisen.«
Wir erhoben uns alle, um Manfred mit Champagner zuzuprosten. Ich schaute auf meine Uhr. Es war halb elf, doch meine Hoffnungen, mich hinauszustehlen, wurden zunichte gemacht, als Fabian wieder zu reden begann.
»Andere Leute wollen auch noch etwas sagen, aber bevor sie zu Wort kommen, möchte der jüngste Anwesende hier etwas zum besten geben. Er ist zwar kein Jurist, jedenfalls noch nicht, aber er weiß, um mit Daniel Webster zu sprechen, daß es >ganz oben immer Platz gibt<. Und Manfreds Abschied hat natürlich eine große Lücke ganz oben hinterlassen. Joshua?« Als der kleine Junge von seinem Stuhl rutschte, fielen die Wörterbücher, auf denen er gesessen hatte, auf den Boden. Diejenigen, die gesehen hatten, was passiert war, lachten. Joshua wurde rot. Emily biß sich auf die Lippe und half ihrem Bruder, sich aus dem Bücherhaufen hochzurappeln. Dann drehte sie ihren Stuhl so, daß er ihr Gesicht sehen konnte.
Joshua legte die Hände hinter den Rücken und begann, Prosperos Abschiedszeilen an Ferdinand und Miranda aufzusagen. Er sprach schnell, mit hoher, leiser Stimme: »Das Fest ist jetzt zu Ende; unsre Spieler, Wie ich Euch sagte, waren Geister und Sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft. Wie dieses ... dieses ... « »Scheines«, soufflierte Emily.
»... Scheines lockrer Bau, so werden Die wolkenhohen Türme, die Paläste, Die hehren Tempel, selbst der große Ball, Ja, was daran ... was daran ... « »Nur teilhat«, half seine Schwester ihm wieder auf die Sprünge. »Nur teilhat«, wiederholte der kleine Junge. »Nur teilhat.« »Ja, was daran nur teilhat, untergehn«, flüsterte Emily.
Joshua verzog das Gesicht, während er die Worte nachsprach. »Ich kann's nicht«, platzte es schließlich aus ihm heraus. »Ich weiß es nicht mehr. Ich schaff s nicht.« Er fing an zu weinen. Emily stand auf und legte die Arme um ihn, wandte den Blick jedoch nicht von ihrem Vater. Fabian lächelte, aber ich glaubte, ein häßliches Glitzern in seinen Augen zu entdecken.
»Es ist viel zu spät für so einen kleinen Jungen, noch dazu, wenn er öffentlich etwas aufsagen soll«, hörte ich mich selbst sagen. »Ich glaube, wir wissen alle, daß er den Text gut gelernt hat. Schenken wir ihm doch seinen wohlverdienten Applaus und lassen wir ihn ins Bett gehen.«
Fabian schaute mich überrascht an, als habe einer der Kerzenleuchter plötzlich gesprochen, doch die anderen Anwesenden begrüßten meinen Vorschlag erleichtert. Wir applaudierten dem Jungen, der aus dem Raum ging, die Schwester dicht hinter ihm. Ich beobachtete Deirdre, während sie wegeilten. Sie machte kein Hehl aus ihrer Schadenfreude. Weil Fabian verlegen gewesen war oder wegen ihrer Tochter oder wegen beiden? Mir drehte sich der Magen um, ich mußte wegschauen. Die Kellner servierten Dessert und Kaffee, und die Leute begannen sich wieder zu unterhalten.
Eleanor Guziak beugte sich über den Tisch zu mir herüber. »Glück gehabt. Fabian führt gern seine Kinder vor - sie sind alle genial -, aber was für eine Qual für so einen kleinen Jungen.«
Gegen elf, als ich dachte, ich würde es keine Sekunde länger aushalten in dem Raum, erhob
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