Engel im Schacht
Abendessen gemacht. Und dann bist du in die Stadt, um Deirdre zu finden, um ihr zu sagen, was du davon hältst, wenn sie einfach so abhaut. Aber sie hat dich bloß ausgelacht, und du hast die Nerven verloren und ihr den Schädel eingeschlagen. Bevor du gewußt hast, was passiert ist, war sie schon tot. Und heute morgen hast du deinen Senator angerufen, damit der ein gutes Wort für dich einlegt bei der Polizei.«
»Wie bitte? Willst du damit andeuten, daß ich Deirdre etwas angetan habe? Ich war die ganze Nacht hier. Mrs. Sliwa hatte frei, und Deirdre hat mich mit den Kindern allein gelassen. Ich konnte gar nicht weg. Ich habe sogar ... « Er schwieg. Was hatte er sogar?
»Du hast sogar die Polizei gerufen? Oder bist du neben der Tür gesessen, um Deirdre zu verprügeln, wenn sie endlich nach Hause käme?« stichelte ich. Er sah wütend aus, sagte aber nichts. Statt dessen ging er zum Fuß der Treppe und rief hinauf: »Emily! Emily! Komm mal runter. Ich möchte mit dir sprechen!«
Zuerst war nichts zu hören, aber als er ihren Namen noch einmal in schärferem Tonfall rief, hörte ich leise Schritte auf dem Teppich im Obergeschoß. Dann kam seine Tochter die Treppe herunter, die krausen blonden Haare auf der einen Seite am Kopf klebend, auf der anderen in einem riesigen Büschel wegstehend. Sie trug eine Jeans und eine schlecht sitzende gelbe Bluse, die ihre fleckige Haut fahl erscheinen ließ. Fünf Stufen über uns blieb sie stehen. Hinter ihr drückten sich ihre kleinen Brüder wie Mäuse in die Schatten.
»Das ist Miss Warshawski, Emily. Sie ist mit ein paar Fragen zu uns gekommen, deren Beantwortung sie eigentlich nichts angeht, aber wir wollen ihr trotzdem Rede und Antwort stehen, in der Hoffnung, daß sie uns dann in Ruhe um eure Mutter trauern läßt.«
»Hallo, Emily. Ich heiße Vic. Wir haben uns am Mittwochabend schon mal gesehen.« Ich ging eine Stufe hinauf und streckte ihr die Hand hin, aber sie reagierte nicht; ihr Gesicht hatte einen so trüben Ausdruck angenommen, daß sie beinahe zurückgeblieben aussah.
Ich ging noch ein paar Stufen hinauf und setzte mich neben sie. »Deine Mutter ist gestern abend in mein Büro gekommen. Hat sie dir gesagt, wo sie hinwollte? Oder ist sie einfach davon ausgegangen, daß du dich um alles kümmerst, wenn sie weg ist?« Emily sah ihren Vater an, der sie in scharfem Tonfall ermahnte, meine Frage zu beantworten.
»Sie war weg, als ich von der Schule nach Hause kam.« Ihr Flüstern war so leise, daß ich sie kaum verstand, obwohl ich nur einen halben Meter von ihrem Gesicht entfernt saß.
»Hat sie dir eine Nachricht hinterlassen?«
Emily nickte leicht. »Sie hat nur geschrieben, daß sie weggeht und nicht weiß, wann sie wiederkommt. Aber wir könnten uns die Reste zum Abendessen aufwärmen. Es ist ziemlich viel übriggeblieben von der Party.«
»Hast du den Zettel noch ? Vielleicht finde ich mehr über ihre Pläne raus, wenn ich ihn sehe.«
»Wir haben ihn nicht aufgehoben, Warshawski. Da wir keine Hellseher sind, konnten wir nicht ahnen, daß wir ihn vierundzwanzig Stunden später als Beweismittel brauchen würden«, mischte sich Fabian mit brüchiger Stimme ein, und seine Tochter zuckte zusammen.
Ich schenkte ihm keine Beachtung, weil ich hoffte, Fabians Einfluß auf Emily zu mindern, wenn ich den Blickkontakt zu ihr nicht unterbrach. »Sie wollte deinen Vater gestern abend in meinem Büro treffen. Ist er aus dem Haus gegangen?« Emily bewegte den Mund, aber es kam nichts heraus. Ihre Schultern senkten sich unter der Last ihrer zurückgehaltenen Tränen.
»Sag es ihr, Emily«, befahl Fabian. »Sag ihr, ob ich gestern abend weggegangen oder hiergeblieben bin.«
Sie schluckte, sah Fabian an, begann zu weinen. »Du mußt nicht für ihn lügen«, sagte ich sanft.
»Sag ihr einfach die Wahrheit, Emily«, drang Fabian weiter in sie. »War ich gestern abend daheim oder nicht?«
»Doch!« kreischte sie. »Du warst hier! Ich weiß, daß du hier warst!«
In ihrer Eile, wieder die Stufen hinaufzukommen, stolperte sie über meine linke Hand.
Die Mäuse lösten sich aus den Schatten, als sie an ihnen vorbeilief, und hängten sich an ihre Blusenzipfel. Zusammen huschten sie den oberen Flur entlang.
»Bist du nun zufrieden, Warshawski?« lächelte Fabian triumphierend.
»Ja, ich bin zufrieden, Messenger.« Ich erhob mich langsam. »Ich bin zufrieden, weil du deiner Tochter so viel Angst eingejagt hast, daß sie dich deckt. Ich werde dem zuständigen Beamten, der
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