Engel im Schacht
könnte.«
»Vic, bitte«, flehte Fabian. »Bitte quäl mich nicht. Und bitte lüg mich nicht an. Du bist am Samstagabend zu mir nach Hause gekommen und hast Emily zu überreden versucht, mit dir wegzugehen. Bestreitest du das?«
»Nein.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Und weißt du auch noch, warum ich das gemacht habe? Weil ich gesehen habe, wie du Deirdre geschlagen und Emily zusammengestaucht hast. Ich dachte, sie ... «
»Ooh!« Ein gequälter Aufschrei von Fabian. »Detective, bitte - muß ich mir das anhören? Meine Tochter ist verschwunden, und Warshawski fällt nichts Besseres ein, als Lügen über mich zu verbreiten.«
Seine Stimme klang wirklich sehr nach der eines besorgten Vaters. Finchley sah mich mit gerunzelter Stirn an und wollte eine Antwort von mir hören. Mr. Contreras betrachtete mich mit strengem Blick. Sogar die Hunde winselten.
»Also wirklich, Leute«, protestierte ich. »Jetzt hört mal auf mit dem melodramatischen Getue. Ich habe keinen blassen Schimmer, was mit Emily passiert ist.« Fabian mußte schlucken. »Sie hat gestern in der Schule zu weinen angefangen. Als sie sie gefragt haben, was los ist, wollte sie nichts sagen. Sie hat lediglich gesagt, sie wolle mit dir reden.«
Ich starrte ihn an. »Bis jetzt habe ich noch nichts von einem Verbrechen gehört.« »Das Mädchen hat gestern so gegen zwei Uhr nachmittags die Schule verlassen und ist danach nicht mehr gesehen worden«, meinte Terry Finchley barsch. Ich ließ mich auf meinen Sessel sinken. »Sie ist seit vierundzwanzig Stunden verschwunden, und ihr steht hier rum und brüllt mich an? Jetzt reißt euch mal zusammen. Redet mit ihren Freundinnen, ihren Lehrern, sucht in den Parks, am Lake ... «
Ein Muskel an Finchleys Stirn zuckte. »Treib mich nicht zum Wahnsinn, Vic. Sie ist ein ziemlich einsames Kind und macht außerhalb der Schule nicht viel. Wir haben uns mit der Lehrerin unterhalten, in deren Stunde sie geweint hat. Sie hat gesagt, sie seien in ein anderes Zimmer gegangen, um sich unter Vier Augen zu unterhalten, aber Emily hat nur immer wieder gesagt, daß sie mit dir reden möchte. Doch Mr. Messenger hatte schon im Direktorat angerufen und gebeten, daß auf keinen Fall... « »Genau«, mischte sich Fabian ein. »Und was hat es mir genützt?« »Also haben die Leute in der Schule gewußt, daß sie mich nicht anrufen dürfen. Und das haben sie auch nicht gemacht. Und dann? Haben sie sie heimgeschickt?« »Als sie sich gar nicht mehr zu helfen wußte, hat die Lehrerin versucht, Mr. Messenger aufzutreiben, aber das ist ihr nicht gelungen. Sie hat sie gefragt, wen sie sonst noch anrufen könnten; aber Emily hat nur deinen Namen genannt. Sie hatte keine Telefonnummern von anderen Verwandten. Die Messengers haben eine Haushälterin, aber die spricht kein Englisch. Also hat man Emily nach Hause begleitet und der Obhut der Haushälterin übergeben.« Finchley holte einen Notizblock aus der Tasche, um den Rest der Geschichte nachzulesen. »Ach ja, genau. Wir haben eine Polnisch-Dolmetscherin für die Haushälterin geholt. Sie sagt, das Mädchen ist rauf ins Zimmer, ohne was zu sagen. Der kleine Junge - Nathan - hat Emily gehört und wollte zu ihr. Als der größere Junge eine halbe Stunde später ebenfalls heimgekommen ist, hat Emily ihnen ihre Wintermäntel angezogen und ist mit ihnen rausgegangen. Sie hat der Haushälterin nichts gesagt. Die hat angenommen, daß sie mit den beiden rüber zum Park geht, wie sie das oft macht.« Ich machte die Augen zu. »Ich nehme an, daß ihr schon im Park gesucht und die Haushälterin gefragt habt, ob hin und wieder mal Freundinnen von Emily zu Besuch kommen und wie die heißen.«
»Natürlich«, fauchte mich Finchley an. »Wir haben die Nachbarn befragt. Wir haben ihre Großmutter angerufen. Wir haben zwei Mädchen gefunden, die manchmal mit ihr zusammengearbeitet haben. Und dann haben wir uns gefragt, ob sie vielleicht zu dir gekommen ist.«
Ich machte die Augen auf und lächelte ihn süffisant an. »Natürlich habt ihr den Haftbefehl besorgt, bevor ihr mit den Nachbarn geredet habt - das ist anscheinend die neueste Methode, wenn ihr Vermißte sucht, oder? Habt ihr schon in meinem Büro nachgeschaut? Die Adresse des Pulteney steht auf der Visitenkarte, die ich ihr gegeben habe. Wenn sie wirklich zu mir wollte, wäre sie vermutlich dahin gegangen.« Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, daß Emily so logisch dachte, aber schließlich hatte ich sie noch nie in Topform
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