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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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der University High«, erklärte er mir kurz angebunden, als er zur Tür hinauseilte.
    Mr. Contreras war so überwältigt von den Ereignissen des Abends, daß er mich nicht einmal rügte, weil ich den Taittinger gekauft hatte. Er aß zwei Portionen Pasta mit Broccoli und Jakobsmuscheln, trank noch den letzten Rest Champagner und hinterher einen Grappa. Dann verließ er mich mit der optimistischen Äußerung, daß wir es irgendwie schaffen würden, das Mädchen zu finden und unsere Steuern zu zahlen. Zwar hatten wir nicht den blassesten Schimmer, wo wir zu suchen anfangen sollten, und auch kein Geld für die Steuern, aber Champagner hat die Fähigkeit, die Illusion von Wohlstand und Glück zu erzeugen.

Ein Schlag ins Kontor
    Die kalten Flure der High-School erschienen mir wie ein Ort in einem Traum. Nicht, daß ich selbst diesen Hort der privat geförderten Bildung besucht hätte: Ich war auf die staatliche Schule nur ein paar Häuserblocks von meinem eigenen Zuhause entfernt gegangen. Aber die bunten Plakate an den grauen Wänden, die hohen Decken und die Übertöpfe, die ich durch die offenen Türen hindurch sah, strahlten den künstlichen Charme aller öffentlichen Einrichtungen aus. Ich spürte keine Nostalgie in mir aufkommen, nur so etwas wie Verwirrung, daß mir ein solcher Ort je vertraut, vielleicht sogar einladend vorgekommen war.
    Ms. Cottinghams Klassenzimmer, das ich nach ein paar mißglückten Anläufen endlich fand, ging auf einen düsteren Hof. Vielleicht war der im Sommer ganz hübsch, aber jetzt war der Boden schlammig aufgeweicht, und mit der feuchten Erde vermischten sich die Zigarettenkippen der unverbesserlichen Raucher.
    In dem Raum selbst standen Tische und Stühle, doch sie sahen anders aus als die sittsamen Einzelbänke aus meiner Jugend. Während ich auf Ms. Cott ingham wartete, schaute ich mir die Sprüche an den Wänden an, die sich ebenfalls von den gängigen Sentenzen aus meiner eigenen Schulzeit unterschieden. »Unsere Visionen beginnen mit unseren Sehnsüchten« (Audre Lorde); »Achte die Schönheit der Eigenart, den Wert der Einsamkeit« (Josephine Johnson). Dazu kam ein weniger ernstes, anonymes »Elvis lebt«.
    Alice Cottingham marschierte herein, als ich gerade in der Norton Anthology of Poetry blätterte, die auf einem Tisch gelegen hatte. Ihre graumelierten Haare waren kurz geschnitten; die feinen Falten um ihren Mund und ihre Augen ließen auf Humor schließen.
    »V.l. Warshawski? Ich wollte Sie trotz Fabian Messengers Warnung kennenlernen, weil ich mich gefragt habe, wie es Ihnen gelungen ist, ein solches Vertrauen in Emily zu wecken.«
    Ich reichte ihr die Hand. »Ich habe sie bloß zweimal gesehen. Vielleicht liegt's daran, daß ich nicht zu ihrer Familie gehöre. Oder vielleicht auch daran, daß ich ihr gesagt habe, sie muß sich nicht länger von ihren Eltern tyrannisieren lassen. Sie wissen ja, daß sie verschwunden ist - ich mache mir Sorgen um sie. Und irgendwie fühle ich mich auch verantwortlich. Möglicherweise wäre sie nicht weggelaufen, wenn ich ihr am Sonntag nicht gesagt hätte, daß es für Mädchen wie sie Zufluchtsstätten gibt.« Ms. Cottingham hob fragend die sandfarbenen Augenbrauen. »Was meinen Sie mit >Mädchen wie sie    Ich erzählte ihr, wie ich Emily in ihrer Familie erlebt hatte - von ihrer Rolle als Kindermädchen und von Fabians Jähzorn.
    Ms. Cottingham schüttelte den Kopf. »Das ist mir neu. Sie ist ein sehr ernstes Mädchen, in vielerlei Hinsicht distanziert ... wie soll ich sagen: nicht idealistisch - denn viele der Kinder hier sind idealistisch -, sondern einfach ernster als die meisten. Sie ist sehr kreativ, selbst nach den Maßstäben dieser Schule, wo es eine ganze Menge intelligenter Teenager gibt. Ihr Vater ist mir immer so, oh, überfürsorglich vorgekommen. Er wollte nicht, daß sie an den normalen Aktivitäten teilnimmt, aber ich habe ihn nie brutal empfunden. Und wer kann es Eltern in unserer Zeit schon verübeln, wenn sie sich ein bißchen zu viel Sorgen machen?«
    Ich erinnerte mich an Emilys Passivität bei unserem ersten Treffen. Eins stand fest: Ihre Kreativität lebte sie zu Hause nicht aus.
    »Als Kind hält man alles, was zu Hause passiert, für normal«, sagte ich. »Wenn sie keine Freundinnen hat, weiß sie vielleicht nicht einmal, daß andere Teenager anders leben. Sie redet möglicherweise auch nicht über ihre eigene Situation. Aber ich habe Fabian erlebt. Glauben Sie mir: Er ist jähzornig.«
    »Tatsächlich? Das

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