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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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ist mir nie aufgefallen. Ich fand ihn eher ... selbstherrlich. Aber das kommt öfter vor: Die Eltern unserer Schüler genießen oft hohes Ansehen in der Gesellschaft und sind deswegen an Respekt gewöhnt.« Die Lachfältchen um ihren Mund wurden stärker, aber egal, an welche amüsante Situation sie sich erinnerte - sie erzählte mir nichts davon.
    Fabian war am vergangenen Mittwoch seinen Gästen gegenüber geistreich und charmant gewesen und hatte nach dem Verschwinden seiner Tochter den verzweifelten Vater gemimt - der Teil seiner Persönlichkeit, den er nach außen zeigte, konnte selbst einen Bullen wie Terry Finchley überzeugen. Warum also nicht auch eine High-SchoolLehrerin? Wenn ich in der vergangenen Woche nicht wegen meines Mantels noch einmal ins Haus zurückgekehrt wäre und ihn auf frischer Tat ertappt hätte, hätte ich dann geglaubt, daß er gewalttätig werden könnte? Statt Ms. Cottingham von Fabians sadistischer Seite überzeugen zu wollen, erkundigte ich mich, was Emilys Flucht vorausgegangen war.
    »Sie hat plötzlich zu weinen angefangen, als sie ihr Gedicht vorgelesen hat. Das war die Hausaufgabe vom Montag - ein Gedicht zu schreiben. Ich lose aus, wer vorliest, weil es ein paar Exhibitionisten in der Klasse gibt, die sich produzieren wollen, und andere, die so schüchtern sind, daß sie nie zum Zug kommen. Emily war als vierte dran. Sie hat ein paar Zeilen vorgelesen und dann angefangen zu weinen. Schon bald hat sie hemmungslos geschluchzt, und ich mußte sie aus dem Klassenzimmer führen.« »War das Gedicht über ihre Mutter?«
    Ms. Cottingham verzog das Gesicht. »Ich hoffe nicht - es war eine ziemlich düstere Angelegenheit.«
    »Erinnern Sie sich noch, was sie geschrieben hat?« Ich versuchte meine Erregung darüber zu unterdrücken, daß sich hier vielleicht eine Möglichkeit auf tat, mehr über Emilys Gemütszustand zu erfahren.
    »Ich hab' das Gedicht hier. Sie hat's auf dem Tisch liegen lassen, als sie runter ins Krankenzimmer ist.«
    Ms. Cottinghams Tisch unterschied sich von den anderen durch die Stapel von Papier, die darauf lagen. Sie suchte in einem davon herum und zog einen Bogen liniertes Papier heraus. Ihr Stirnrunzeln verstärkte sich, als sie noch einmal überflog, was darauf stand. »Etwas beschäftigt sie, soviel ist klar. Die Kinder schreiben normalerweise immer über die gleichen Sachen - wie großartig die Natur ist, über die Schrecken des Rassismus. Aber das ... tja, das ist Schmerz pur.« Ich nahm ihr das Blatt aus der Hand.
    Eine Maus zwischen zwei Katzen
    von Emily Messenger
     
    Graue Quäkermaus sagt nicht viel, Kennt nur Arbeit und nicht Spiel. Erschrickt bei jedem Laut - Sie ist zu klein fürs Kampfgewühl.
    Kleine Schnauze zuckt, Schnurrhaar zittert, Sie sucht Krümel, auch wenn sie Butter wittert. Denn für sie bleiben nur Brosamen vom Tisch der Götter.
    Zwei Katzen sind die Herrscher der Natur. Ihr Nahen heißt für Maus: »Retour!« Die eine fett, die andre schlank, Nähren sich von Gewalt fast nur.
    Spät des Nachts woll'n sie erhaschen Kleine Quäkermaus beim Naschen. Und sie fangen sie Mit ihren Krallen, den raschen.
    Schlanke Katze singt und schmeichelt; Mäuschen tropft vor Angst der Speichel. Fette Katze faucht und preßt es - Fast hätt' es sie gestreichelt.
    Fette Katze grinst: Du mußt nun wählen. Schlanke Katze singt: Laß dir nichts erzählen, Bleib bei mir, sei meine Muse, Mußt dich nie mehr quälen. Fette Katze grinst, die Lippen feucht und rot. Gehst du mit ihr, ist's dein Tod.
    Bleib bei mir und sei mein Sklave.
    Steh in meinem Dienst bis zu deinem Tod.
    Sklave oder Muse - Mäuschen findt's verderblich. Krallen im Genick - es ist auch nur sterblich. Grinsen hier, Gesänge da - es wird ganz schwach. Die Katzen fauchen: Spielverderber.
    Zwei Katzen klagen laut, Auf Mäuschens Rücken eine Pfote haut, Der andren Pranke reißt an seiner Brust. Weit und breit für Mäuschen hier kein Bau.
    Mäuschen lebt, schwer verletzt,
    Wenn's nun leis ein Füßchen vor das andre setzt.
    Die Katzen grinsen, singen, wollen Spaß,
    Mit geschwellten Muskeln Mäuschen hetzen.
     
    Mich fröstelte. Die Furien, die im Haushalt der Messengers wüteten, erwachten auf dem Papier zu groteskem Leben. Ich hätte der Emily, die ich erlebt hatte, der Emily, die abwechselnd in Tränen ausbrach und sich zurückzog, keine solche Disziplin zugetraut. »Haben Sie eine Ahnung, wann sie das geschrieben hat?« fragte ich Ms. Cottingham. »Sie haben gesagt, das war die Hausaufgabe

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