Engel im Schacht
erlebt.
Finchley winkte wütend ab. »Da sind wir zuerst gewesen. Und haben festgestellt, daß du das Siegel an der Tür erbrochen hast. Das ist strafbar, falls du das vergessen hast.« Diese Angelegenheit erschie n mir im Moment nicht wichtig genug, als daß man sie in allen Einzelheiten hätte diskutieren müssen. »Was sagen Emilys Brüder?«
»Die sind auch weg«, meinte Fabian. »Du mußt doch wissen ... « »Deine Kinder sind weg, und du hast nichts Besseres zu tun, als mich anzubrüllen? Du solltest dir lieber Sorgen machen. Schließlich ist Chicago eine große Stadt. Das ist nicht der richtige Ort für drei Kinder allein, besonders wenn sie das Leben auf der Straße nicht kennen .... Hör zu, Terry. Ich hätte gute Lust, dich wegen Hausfriedensbruch anzuzeigen, aber wir müssen uns jetzt auf die Kinder konzentrieren. Ich weiß nicht, wo sie sind. Wenn du mich festnimmst, nur damit Clive Landseer zufriedengestellt ist, wirst du das nicht nur bereuen, nein, du vergeudest auch wertvolle Zeit. Ruf an und laß den verdammten Haftbefehl annullieren, und dann versuch, das Mädchen zu finden.« »Genau«, sagte Mary Louise Neely so leise, daß ich sie beinahe nicht gehört hätte. »Wir durchsuchen die Wohnung«, verkündete Finchley. »Deine und die von dem alten Mann. Und wenn wir nur einen einzigen Hinweis ... «
Er vollendete den Satz nicht, aber ich ließ es dabei bewenden; die Situation war schon absurd genug. Er rief Lieutenant Mallory an, erklärte die Sachlage und fragte, ob er ein Spurensicherungsteam vorbeischicken könne, um beide Wohnungen zu durchsuchen. »Der Lieutenant will mit dir sprechen«, meinte Terry steif, nachdem er ein paarmal »Nein, Sir« zu Bobby gesagt hatte. »Hallo, Vic. Mischst du wieder mal meine Leute auf?« »Hallo, Bobby. Schön, dich zu hören.« »Dann weißt du also nicht, wo Emily Messenger steckt?« »Nein, Bobby, das weiß ich nicht.«
»Du weißt wirklich nicht, wo sie ist? Ich möchte jetzt keine Haarspaltereien von wegen, du hast sie bei Dr. Herschel abgeliefert, aber weißt nicht, ob sie im Moment gerade auf dem Klo sitzt oder vor dem Fernseher.«
Ich mußte lachen, sagte aber in ernstem Tonfall: »Bobby, ich schwöre beim Andenken von Gabriella, daß Emilys Verschwinden für mich genauso überraschend ist wie für euch. Ich habe erst davon erfahren, als Terry zusammen mit ihrem schwachsinnigen Vater hier aufgetaucht ist.«
Bobby glaubte mir. »Ich denke nicht, daß wir ein Team von der Spurensicherung rüberschicken müssen. Ich sage Finchley das, und dann kümmere ich mich drum, daß der Haftbefehl aufgehoben wird. Ich hab' gar nicht gewußt, daß Messenger einen erwirkt hat. Ganz schön rührig, der Mann, aber Schwamm drüber, schließlich macht er sich Sorgen um seine Kinder.«
So besorgt war er, daß er noch Zeit hatte, den Staatsanwalt auf seine Seite zu ziehen, dachte ich sauer, als ich Terry den Telefonhörer zurückgab. Fabian bestand darauf, selbst mit Bobby zu sprechen. Er wiederholte seine Bitten, daß ich seinen Kummer verstehen müsse. Als Tribut an seine väterlichen Gefühle erklärte sich Finchley bereit, das Gebäude zu durchsuchen.
Ich gab Mary Louise Neely die Schlüssel zu meinem Keller und fragte Mr. Contreras, ob er die Beamten auch in seine Wohnung schauen lassen würde. Während sie ihre Zeit damit verschwendeten, in Schränken und unter Möbeln nachzuschauen, saß ich in meinem Sessel. Allmählich verwandelte sich mein Zorn in Angst um Emily. Die Welt mußte ihr ganz schön bedrohlich erschienen sein, als sie tags zuvor aufgewacht war. Die Verantwortung für ihre kleinen Brüder lag einzig und allein bei ihr, einem vierzehnjährigen Mädchen. Sie hatte keine Mutter, egal wie schwach, die den Zorn ihres Vaters von ihr abgewendet hätte. Sie mußte ziemlich einsam sein, wenn ich der einzige Mensch war, der ihr als mögliche Rettung einfiel.
Als Terry mir endlich meine Schlüssel wiedergab, waren ihm Zorn und Sorge vom Gesicht abzulesen. »Der Lieutenant versichert mir, daß du nicht lügst - er meint, du hättest das Mädchen nicht bei einer deiner Freundinnen versteckt.«
»Das stimmt. Ich lüge nicht, Terry - schon um meiner eigenen Eitelkeit zu schmeicheln, würde ich das nicht tun. Wie heißt die Lehrerin des Mädchens - die, bei der sie gestern zu weinen angefangen hat?«
»Sie weiß nichts.«
Ich lächelte schwach. »Wir wissen alle nichts. Aber i rgendwo muß ich ja anfangen.«
»Alice Cottingham. Sie unterrichtet Englisch an
Weitere Kostenlose Bücher