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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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vom Montag. Bedeutet das, daß sie das Gedicht übers Wochenende geschrieben hat? Nach dem Tod ihrer Mutter?« Ms. Cottingham schürzte nachdenklich die Lippen. »Ich habe die Hausaufgabe vor zwei Wochen gestellt. Wir hatten ein paar Stunden über Gedichte gesprochen. Die Schüler machen die Hausaufgaben normalerweise immer in der letzten Minute, also stehen die Chancen gut, daß sie's tatsächlich am Wochenende geschrieben hat. Aber das ist merkwürdig, finden Sie nicht auch? Wenn sie gewußt hat, daß ihre Mutter tot ist. Außerdem: Wie konnte sie die ... die emotionale Energie aufbringen, so kurz nach dem Tod ihrer Mutter so etwas zu schreiben? Wahrscheinlich hat sie's schon vorher gemacht. Aber was hat es dann für einen Sinn, das Gedicht jetzt zu lesen?« »Wahrscheinlich sieht Emily sich selbst als Maus. Vielleicht setzt sie auch ihre Mutter mit der Maus gleich und sich selbst mit einem bösen Dämon. Ich würde das Gedicht gern mitnehmen.«
    Ms. Cottingham schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist das Privateigentum einer Schülerin. Sie wissen nicht ... «
    »Ich weiß nicht, wo sie ist. Je länger es dauert, sie zu finden, desto unwahrscheinlicher wird es, daß sie keinen psychischen Schaden nimmt. Vielleicht überlebt sie die Sache nicht einmal. Außerdem hat sie ihre beiden Brüder dabei. Alles, was dazu beitragen könnte, sie zu finden, ist wichtig.« »Die Polizei sucht nach ihr ... «
    »Und ich wünsche ihr viel Erfolg dabei«, fiel ich ihr wieder ins Wort. »Aber die Leute von der Polizei informieren sich nicht über Emily. Sie konzentrieren sich auf die Situation. Fabian verwechselt die Ermittlungen mit einem Tummelplatz für Staatsanwälte.«
    »Und Sie haben in dieser Hinsicht besondere Fähigkeiten?« »Ich dachte, das wüßten Sie. Ich bin Privatdetektivin.« Das hatte ich ihr doch mit Sicherheit am Telefon gesagt. Oder hatten mich die Ereignisse so aus der Bahn geworfen, daß ich mich nicht mal mehr richtig vorstellte?
    Schließlich stimmte Ms. Cottingham, wenn auch widerwillig, zu, daß ich eine Kopie des Dokuments, wie sie es nannte, machte. Sie stand neben mir, als ich diese Kopie machte. Ich steckte sogar ein Zehncentstück in das Gerät im Lehrerzimmer - der Preis für private Ablichtungen.
    »Und Sie rufen mich an, wenn Ihnen etwas einfällt - oder wenn Sie etwas hören -, das mir dabei helfen könnte herauszufinden, wo sie steckt?« fragte ich, als sie sich an der Tür von mir verabschiedete.
    Sie versprach es mir, wenn auch ohne allzu großes Vertrauen in meine Fähigkeiten. Als wolle ich ihr etwas beweisen, hielt ich auf meinem Weg nach Norden noch schnell beim Haus der Messengers. Die Haushälterin machte die Tür einen Spalt auf. »Keine Presse«, sagte sie mit starkem polnischem Akzent. »Ich bin Detektivin«, meinte ich ganz langsam. »Ist Mr. Messenger zu Hause?« »Keine Presse«, wiederholte sie bestimmt und wollte schon die Tür schließen. Während ich den Fuß in den Türspalt schob, versuchte ich verzweifelt, mich an die wenigen Worte Polnisch zu erinnern, die mir die Mutter meines Vaters beigebracht hatte. Natürlich war »Privatdetektiv« nicht darunter, aber weil mein Vater Polizist war, hatte ich wenigstens das Wort von ihr gehört. Um meine Lüge abzurunden, holte ich auch noch meine Brieftasche mit der Fotokopie meiner Detektivlizenz heraus. Sie runzelte die Stirn, wiederholte »Policjant«, machte die Tür auf. Als ich wieder nach Fabian fragte, antwortete sie mir auf polnisch. Enttäuscht über meinen verständnislosen Gesichtsausdruck sagte sie »nicht da« und drehte sich um. Schuldbewußt - weil ich mich als Polizistin ausgab und einfach in Emilys Privatbereich eindrang - ging ich die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf. Jemand hatte es ziemlich oberflächlich durchsucht. Als ich das letzte Mal dort gewesen war, hatte darin das Chaos geherrscht, das jeder Teenager in seinem Zimmer hat, doch jetzt standen die Schubladen offen, Sweatshirts und Unterwäsche hingen heraus. Auf dem Boden lagen Bücher, der kleine Schreibtisch wirkte durchwühlt. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Finchley oder Neely das Zimmer so wenig sorgsam durchsucht hatten. Entweder hatte Fabian seine Wut an Emily hier ausgelassen, oder Emily hatte vor ihrer Flucht selbst etwas Wichtiges gesucht.
    Ich hob die Papiere vom Boden auf. Es handelte sich ausschließlich um Schulsachen - Essays, Geometrieaufgaben, Notizen. In den Aufsätzen ging es um das, was Ms. Cottingham als die üblichen Themen

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