Engel sterben
direkten Nachbarschaft. Ann-Kathrin und Dingsbums. Heißt die Zweite nicht sogar Paula, wie er es sich gewünscht hat? Das ist doch, als habe sich jemand diese Geschichte nur für ihn ausgedacht. Als Sprungbrett in eine neue Karriere. Fred, der investigative Journalist, auf der Spur des Mädchenmörders. Denn natürlich wird man die Lütten nie wiedersehen, das steht doch wohl fest. Aber man könnte vielleicht ihre Leichen finden. Er, Fred Hübner höchstpersönlich, könnte sie finden und dann die ganz große Story daraus machen.
Wo hätte er selbst die Mädchen versteckt, bevor oder nachdem er mit ihnen, tja, bevor er was getan hätte? Das will sich Fred gar nicht vorstellen. Besser, er geht davon aus, dass die unappetitlichen Einzelheiten bereits geschehen sind. Die Mädchen sind tot, jetzt müssen die Leichen weg. Wie wird der Typ das machen? Oder, wie hat er es gemacht?
Er muss sie irgendwo auf der Insel verschwinden lassen, das ist schon mal klar. Jedes Auto, jedes Schiff ist kontrolliert worden. Gerade vorhin hat der Polizeisprecher noch einmal den ganzen Maßnahmenkatalog heruntergeleiert.
Urlaubssperre bei der Sylter Polizei. Unterstützung durch Beamte vom Festland. Dünen, Heide, Watt und selbst die kleinsten Waldstücke der Insel sind abgesucht worden, mit Hunden, aber auch per Helikopter. Und alle Kontrollen am Westerländer Bahnhof und an der Lister Fähre sind ergebnislos verlaufen. Das heißt eindeutig, dass der Täter sich noch auf der Insel aufhält. Und dass er die Leichen hier irgendwo entsorgt. Aber wo?
Das Meer käme natürlich als Erstes in Frage. Ein Boot gemietet und schwupps, die Mädchen über Bord, die kleinen Körper in Säcke verschnürt und schön schwer gemacht mit Steinen. Wackersteinen wie bei Rotkäppchen. Erinnert er sich richtig? Märchen sind ja nun nicht gerade sein Spezialgebiet. Aber doch, der Wolf hat erst die Alte und dann die Lütte gefressen, und anschließend war er so voll, dass er eingepennt ist. So hat der Jäger ihn gefunden, den Wanst aufgeschnitten und die Weiber rausgeholt, obwohl sie das nicht verdient hatten, wenn man ihn fragt, so blöd, wie die sich angestellt haben. Aber wer fragt ihn schon?
Fred greift nach der Flasche und hält sie senkrecht über den geöffneten Mund. Der Alkohol läuft direkt in seinen Magen. Wie Treibstoff in den Tank eines Rennwagens. Netter Vergleich. Wo war er noch mal mit seinen Gedanken? Ach ja, die Leichen. Dieser perverse Typ wird wohl kaum gewartet haben, bis er zwei Leichen gleichzeitig zu entsorgen hatte. Dann hätte er die erste mit sich rumschleppen müssen, als er das zweite Mädchen abfing. Alles viel zu gefährlich. Außerdem wird der doch wohl weitermachen. Hat vermutlich jetzt erst richtig Blut geleckt. Oder was auch immer. Fred muss über seinen kleinen Witz kichern. Als er die Flasche wieder ansetzt, verschluckt er sich. Hustend und keuchend steht er auf und geht schwankend hinüber zu seinem Bett. Dann lässt er sich einfach vornüberfallen. Dass er mit dem Kopf auf der Kante aufschlägt, nimmt er schon nicht mehr wahr, so schnell hat Fred Hübner das Bewusstsein verloren.
Samstag, 25. Juli, 10.30 Uhr,
Zöllner-Immobilien,
Kampen
Die Anspannung ist fast mit Händen zu greifen. Seit Mona aus den Morgennachrichten von dem gestrigen Verschwinden eines zweiten Mädchens erfahren hat, herrscht im Maklerbüro eine gedrückte Stimmung. Ein Kinderschänder ist nicht gerade das, was sich ein betuchter Immobilienkäufer in der Nachbarschaft wünscht. Und in wenigen Wochen geht die Saison zu Ende. Wenn das keine deprimierenden Aussichten sind. Doch Mona beschließt, sich nicht unterkriegen zu lassen und umgehend Björn Steingart anzurufen. Er trägt keinen Ehering, vermutlich hat er auch keine Kinder, also werden ihn die Entführungen weniger stören als andere Interessenten. Da Mona nicht erwartet, Steingart am Samstagvormittag im Büro anzutreffen, wählt sie seine Handynummer.
»Steingart.«
»Oh, hallo, das ging ja schnell. Mona Hofacker,
Zöllner-Immobilien
, Kampen. Ich grüße Sie, Herr Steingart.«
»Wie nett, von Ihnen zu hören.«
»Ich habe gute Nachrichten, Herr Steingart.«
»Das wird ja immer besser.«
»Erinnern Sie sich an die Wattvilla, von der wir gesprochen haben? Sie war bei Ihrem Besuch leider noch nicht zu besichtigen.«
»Und daran hat sich etwas geändert?«
»Genau. Ich habe jetzt den Schlüssel, und wenn Sie mögen und Zeit haben, dann kommen Sie doch noch einmal vorbei. Vielleicht am
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