Engel sterben
sofort.
»Sie können es ruhig zugeben. Ich hoffe natürlich auch, ein Schnäppchen machen zu können.«
»Ein Schnäppchen. Mit der Wattvilla?«
»Ja. Oder woran hatten Sie gedacht?«
Ein Blick aus den Augenwinkeln, aufmerksam und Sekundenbruchteile zu lang. Mona zieht es vor, die Frage unbeantwortet zu lassen und Steingart mit sparsamen Kommentaren durch das vormittägliche Kampen hinüber zur Wattseite zu dirigieren.
Die imposante Erscheinung der Villa veranlasst Steingart zu einem leisen Pfiff. Mit einem gewagten Schlenker bringt er sein Cabrio zum Stehen, und mit der Bemerkung »Jetzt bin ich aber neugierig« erklimmt er die Stufen, die zur Eingangstür hinaufführen.
Die Tür klemmt, und einige Sekunden lang muss Mona befürchten, sie kämen nicht ins Haus. Während sie an der Tür rüttelt, den Schlüssel immer wieder anders verkantet, steht Björn Steingart mit belustigtem Gesichtsausdruck neben ihr. Doch bevor Mona die Tür hochheben kann, wie es der Eigentümer ihr gezeigt hat, legt Steingart seine Hände auf ihre. Der Druck seiner Finger ist fest.
»Soll ich helfen?«
»Nein danke, das geht schon.«
Steingarts Rasierwasser riecht nach Leder und Zitrusfrüchten, irgendetwas Süßes ist auch dabei. Es ist entschieden zu sinnlich für einen Mann, findet Mona und unterdrückt einen leichten Würgereiz. Zum Glück nimmt Steingart seine Finger von ihrer Hand. Als Mona mit dem Drücker die ganze Tür anhebt, lässt sich der Schlüssel plötzlich drehen. Für eine Sekunde scheint es ihr, als trete ihnen der Geruch nach Erbrochenem entgegen. Aber es ist eine Sinnestäuschung. In der Wattvilla riecht es frisch und sauber. Zitrone und Salz, Nordseewind und geschrubbtes Holz.
Mona bleibt in der Mitte der Diele stehen und dreht sich um. Es ist wichtig, einem Kunden ins Gesicht zu sehen, wenn er zum ersten Mal eine Immobilie betritt. Häuser sind wie Menschen. Sie haben eine Aura, die sich jedem Fremden innerhalb von Sekunden mitteilt.
Björn Steingart strahlt. Mit wohlgefälligen Blicken mustert er die breite Treppe und die hohen Türen.
»Das scheint ja wirklich ein Schmuckstück zu sein.«
»Freut mich, dass Ihnen das Haus gefällt. Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen die Aussicht. Sie werden sich sofort verlieben.«
»Vielleicht bin ich das schon.«
»Umso besser.«
Erst Björn Steingarts jungenhaftes und ganz und gar nicht angemessenes Lachen macht Mona auf die Doppeldeutigkeit ihrer Aussage aufmerksam. Sie gibt sich länger als nötig mit der nicht übermäßig komplizierten Mechanik eines der Erkerfenster ab. Diesmal kommt ihr Steingart nicht zu Hilfe. Er öffnet in ihrem Rücken die Türen der Einbauküche und drückt schließlich auf den Startknopf der Dunstabzugshaube. Ein ohrenbetäubendes Getöse setzt ein, wird allerdings sofort wieder von Steingart abgestellt.
»Das ist ja die reinste Vorkriegsware. Seit wann wohnt hier niemand mehr?«
»Ein paar Jahre sind es schon.«
»Na, das glaube ich gern. Das müsste natürlich alles raus. Aber die Bausubstanz scheint ganz ordentlich zu sein. Genau kann man das natürlich erst sagen, wenn man den Keller gesehen hat. Wo geht’s denn hier runter?«
Der Schreck fährt Mona durch alle Glieder. Sie hat den Keller vergessen. Sie hat auch Lidia nichts davon gesagt. Die Tür neben dem hohen Küchenschrank, an der dieser Abreißkalender mit dem Gedicht hing, muss hinunterführen. Und der angerostete große Schlüssel an ihrem Bund passt vermutlich zur Tür. Niemand hat bisher einen Blick in diesen Keller geworfen. Lidia hatte schließlich auch ohne den Keller genug zu tun. Jetzt muss sich Mona innerhalb von Sekunden entscheiden, ob sie es wagen soll, mit Steingart hinunterzusteigen, ohne vorher einen heimlichen Kontrollgang unternommen zu haben. Mona schließt kurz die Augen, dann öffnet sie sie wieder. Und hat sich entschieden.
»Lassen Sie uns erst hochgehen. Der Keller kann warten.«
Augenaufschlag, verführerisches Lächeln. Darauf hat dieser Steingart doch die ganze Zeit schon gewartet. Und richtig, er lässt sich ablenken.
»Wie Sie möchten, schöne Frau.«
Beim Gang die Treppe hinauf ist es Mona, als spüre sie die Blicke des Mannes in ihrem Rücken. Und plötzlich ist sie froh über das elegante Sommerkleid, das sie heute früh anstelle der bereitgelegten Leinenhose angezogen hat.
»Wie lange wollen Sie eigentlich auf der Insel bleiben? Nur bis heute Abend oder länger?«
Wie absichtslos lässt Mona die Worte fallen. Eine höfliche Floskel
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