Engel sterben
unsichtbar gewesen sein oder …«
Kreuzer richtet sich ruckartig auf, als belebe ihn eine plötzliche Idee. Winterberg, der immer noch in dem Aktenstapel blättert, fragt unkonzentriert: »Oder?«
»Oder einer von uns.«
»Bist du verrückt?« Jetzt ist auch Sven Winterberg ganz bei der Sache. »Hör mal, Bastian, wenn wir jetzt anfangen, uns gegenseitig zu verdächtigen, können wir gleich einpacken.«
»Aber der Pförtner schwört heilige Eide, dass er seine Loge nie verlassen hat.«
»Der beschwört alles, was du von ihm verlangst. Allein im letzten Jahr stand er schon zweimal kurz vor dem Rausschmiss. Der hat einfach die Hosen voll.«
»Ihr seid ja mit phantastischem Personal ausgestattet. Wie soll man denn da arbeiten, verdammt nochmal?«
Winterberg zuckt resigniert mit den Schultern.
»So gut es eben geht. Darum tue ich mich doch so schwer damit, Hübner wieder laufen zu lassen. Er ist der Einzige, den wir haben. Und er verbirgt etwas vor uns, das spüre ich einfach.«
»Dann brauchen wir einen Haftbefehl vom Staatsanwalt. Und das bei dieser wackligen Beweislage. Wenn der uns mal nicht auslacht.«
»Versuchen könnten wir’s«, schlägt Winterberg vor und beugt sich wieder über die Akten.
»Sag mal, suchst du eigentlich etwas Bestimmtes?«
»Nö, mir ist nur langweilig.« Sven lacht unfroh. »Weißt du vielleicht, ob die Auswertung der Fingerabdrücke auf dem Engelsschreiben schon hier ist?«
»Ist sie nicht. Aber warte mal, jetzt ist es kurz nach fünf, das Schreiben kam mittags. Ich ruf da mal an, die müssten eigentlich längst was wissen.«
Während Kreuzer telefoniert, steckt Winterberg den Kopf aus der Tür und wechselt ein paar Sätze mit dem wachhabenden Beamten. Als der Telefonhörer mit Wucht zurück in die Ablage geschmettert wird, fährt er zusammen.
»Bastian, was ist los?«
»Rate, welche Abdrücke auf dem Schreiben sind!«
»Also hör mal, wir sind hier doch nicht im Sonntagabend-Quiz.«
»Na komm, tu mir den Gefallen.«
»Wenn du schon so fragst, dann sind es wahrscheinlich die von Hübner. Er hat den Brief fertiggemacht, und ein Komplize hat ihn eingeworfen, nachdem wir ihn hopsgenommen haben.«
»Irrtum. Auf dem Brief sind die Abdrücke einer unbekannten ausgewachsenen Person, nicht zu identifizieren, da in keinem Register vorhanden – und die von allen drei entführten Mädchen.«
»Nein!«
»Doch.«
»Ich wusste gar nicht, dass die Kollegen bei den Mädchen zu Hause Vergleichsproben genommen haben.«
»Haben sie am Freitag schon, gleich nachdem wir die Kleidung gefunden hatten. Und am Samstag bei dem dritten Opfer. Bisher haben die Proben nur nichts genutzt, denn auf der Kleidung war nichts Brauchbares zu finden, du weißt ja, wie schwierig das bei Stoffen ist, jedenfalls wenn es keine Knöpfe oder Schnallen oder so gibt. Außerdem hat der Sand ganz schön an dem Zeug geschabt.«
»Nett, dass du mich immer wieder an unsere Fehlschläge erinnerst.«
»Jetzt tu nicht so, als sei es deine Schuld. Du nimmst dir die Sache zu sehr zu Herzen.«
»Du bist gut. Wenn du eine Tochter zu Hause hättest, die nachts schreiend aus dem Schlaf schreckt, weil sie glaubt, von einem Monster gefressen zu werden, würdest du dir die Sache auch zu Herzen nehmen.«
»Was hat sie eigentlich genau geträumt?«
Sven Winterberg seufzt und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar, das längst verschwitzt an seinem Kopf klebt.
»Okay, die Kurzform. Aber nur, weil du es bist. Mette hat ein Geräusch gehört, dann ist ein grünes Monster ins Zimmer geklettert und hat ihr seine Finger in alle möglichen Körperöffnungen gesteckt. Brauchst du’s noch genauer?«
»Entschuldige, ich will dich echt nicht fertigmachen. Aber meinst du nicht, dass wir uns den Traum noch mal detailliert schildern lassen sollten? Immerhin hat deine Tochter den Entführer gesehen. Kann es da nicht sein, dass sie irgendeine wichtige Information in ihrem Traum verarbeitet hat?«
»Willst du jetzt nach einem Marsmenschen fahnden?«
»Nein will ich nicht. Aber vielleicht hast du das Wort ›Tagesrest‹ schon mal gehört. Also pass auf, ich mache dir einen Vorschlag: Du gehst jetzt nach Hause, isst mit Frau und Tochter zu Abend und sorgst für eine möglichst entspannte Stimmung. Und nach dem Abendessen machst du mit deiner Tochter einen kleinen Ausflug zu uns, und dann kann ich mich ein bisschen mit ihr unterhalten.«
»Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll, aber wie du willst. Nur solltest du dann lieber
Weitere Kostenlose Bücher