Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
nach seiner Freilassung hatte er sich erhängt.
In dieser Woche hatte er sich entschieden, Polizist zu werden. Nicht bei der Gendarmerie, sondern bei der Kriminalpolizei. Er spürte, dass diese Entscheidung ähnlich der eines Ketzers war, der sich entschied, katholischer Priester zu werden. Doch er hatte keine Wahl. God told me to! Oder seine eigenen visionären Fähigkeiten, oder der Zufall, oder wer auch immer, der jedenfalls dafür sorgte, dass er die Arbeit bei der Polizei von Anfang an so ernst nahm wie noch nie etwas zuvor – gleichwohl seine Kollegen und Vorgesetzten in ihm nie den Streber sahen, der er tatsächlich war, zumindest bis zu seiner Beförderung zum Gruppenleiter. Warum hätte er denn damit angeben sollen, dass er Nächte damit verbrachte, kriminalistische, forensische, psychiatrische und juristische Fachliteratur zu studieren, wenn die anderen glaubten, dass es der Herrgott ihm im Schlaf gab. Manchmal konnte er nicht umhin, das selbst zu glauben. Als er schon über zehn Jahre dabei war, häuften sich die Fälle, wo er wie aus heiterem Himmel Eingebungen bekam, die oft weit außerhalb des Ermittlungsnetzes lagen, das sie zwischen Opfer, Tathergang, Verdächtigen et cetera gesponnen hatten. Und wenn er sich recht erinnerte, war er kein einziges Mal danebengelegen … doch, vor zwei Jahren, bei der Geschichte mit den Rudenz … aber da war er ja nicht er selbst gewesen. Wie hatte er sich diese Geistesblitze damals erklärt? In Augenblicken der Bescheidenheit als Ergebnis langer Erfahrung und harter Arbeit. In hochmütigeren Momenten als Geniestreiche eines kriminalistischen Künstlers, der er irgendwie ja auch war. Und wenn er sich gleichzeitig die Nacht ins Gedächtnis rief, in der er Marlenes Vater entführt und überführt hatte: dann wurde die Stimme wieder hörbar, die ihm flüsterte, dass er berufen war, dass seine Gabe mitunter eben auch ein Fluch wäre, dass er so gesegnet wie verdammt war, und all die anderen Erklärungsversuche, die einem die Mystik des Lebens manchmal abverlangt.
Doch was hatten sie schon getaugt, diese Erklärungen … stumpfe Rhetorik, wo er eine scharfe Klinge wünschte, die ihm das Leid herausschnitt, abgehobenes, sinnentleertes Gefasel, wo er unumstößlich in reiner Erde wurzeln wollte … und da hatte Phillipe ihn bei der Hand genommen … folge mir ins Wunderland, wo es kein Böses mehr gibt, keinen Hass und keine Niedertracht … wir schaffen eine Welt, wie sie nur als Fantasie in uns schlief … und jetzt erwacht sie mit uns … folge mir. Und er war ihm gefolgt. In Gedanken, Worten … und in der Tat, als er diesen Mann getötet hatte, mit einem schnellen Handkantenschlag gegen den Hals … woher hatte er überhaupt gewusst, dass er am Donaukanal war? … Wer hatte ihm das gesagt? … Wer, wenn nicht … egal, ausgeschaltet hatte er ihn, gelöscht wie einen rußenden Kerzenstummel, einer weniger, ein Schritt näher zur … wohin hätte das führen sollen? Was hatten sie vorgehabt? Den Teufel auf die Erde zu locken, indem sie seine Dämonen hinrichteten? Ihn zum finalen Kampf zu fordern? Wirres Zeugs in einem wirren Hirn … aber es war ihnen Ernst gewesen … wozu sonst dieses konspirative Treffen in der Schweiz, wo … was hatten sie dort getan? … Den Zeitpunkt für den ersten großen Schlag bestimmt? … Phillipe war dabei gewesen, Eisert, Foster und … er fand keine Namen, sah keine Gesichter … doch es mussten noch drei weitere gewesen sein … die aufgestiegenen Meister des Lichts, das Oktagon der Erzengel … war das wirklich? Oder ein wahnwitziger Traum? Oder war er schon tot und sah sein Leben nun aus einer anderen Perspektive? … Blödsinn … er war wach, er hatte wie viel Zeit auch immer im Wald gelebt, war zurückgekehrt, nicht mehr der Alte, aber wie auch … das würde er unter Umständen nie wieder werden, wie ihm Doktor Hofer eröffnet hatte … der Doktor … Heiler Gottes … Raphael … Wieland, du warst dabei, du Schwein, jetzt brauchst du gleich selbst einen Arzt.
58.
Die A1 zwischen Salzburg und Wien bietet wenig Interessantes; also genug Gelegenheit und Zeit, um alles noch einmal der Reihe nach durchzugehen: Im November des Vorjahrs verbringt Schäfer mit seiner Freundin Isabelle zwei Wochen auf der Insel Réunion. Dort lernt er einen Franzosen kennen, der sich als Phillipe Marsant ausgibt, und freundet sich mit ihm an. Im Hinblick auf die kommenden Ereignisse und Erkenntnisse kann man davon ausgehen, dass besagtes Treffen Major
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