Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
sowie einen weiteren Beamten in die Kaffeepause. Obwohl Troger zwei Stunden später ein volles Geständnis ablieferte, erinnerte sich Bergmann sehr ungern an diesen Abend. Es war nicht das erste Mal, dass er mitbekommen hatte, dass gegen einen Häftling Gewalt gebraucht wurde – ein paar wollten es auch gar nicht anders –, aber er selbst hatte sich nie aktiv daran beteiligt, hatte im Gegenteil sogar einige Male eingegriffen, wenn ein Kollege die Kontrolle verlor, und zögerte bei übertriebener Härte auch nicht, Oberst Kamp zu informieren. Doch bei Troger hatte er nicht nur weggeschaut; er hatte es einwandfrei hingenommen, dass der übermüdete und gereizte Schäfer die Tür zum Vernehmungsraum schloss und das kiloschwere Telefonbuch bestimmt nicht dabeihatte, um dem U-Häftling daraus vorzulesen.
Und jetzt dieser Anhänger mit Trogers Hautpartikeln dran: Hatte Schäfer ihn aus dessen Wohnung entwendet? Bei der etwas ruppigen Festnahme oder während des Verhörs von Trogers Hals gerissen, eingesteckt und dann aus Vergesslichkeit im Schreibtisch gelassen? Wesentlich bedeutender war für Bergmann aber noch eine andere Frage: Hatte Troger etwas mit dem Bombenbauer Eisert zu tun gehabt? Wenn ja, was? Wenn ja, warum hatte Schäfer dieses Wissen für sich behalten? Oder war er kurz davor gewesen, es zu teilen, und genau aus diesem Grund entführt und … Bergmann griff zum Telefon, zögerte einen Moment und rief dann Kovacs zu sich.
„Ich fahre mittags nach Stein … den Tannhäuser befragen … besorgen Sie sich inzwischen die Akte von Andreas Troger mitsamt allen Beweismitteln und suchen Sie mit Schreyer nach irgendeiner Verbindung, die zu Thomas Eisert führen könnte … wenn es sich ausgeht, befrage ich den Troger heute selbst dazu, aber …“
„Das wird schwierig werden …“, unterbrach ihn Kovacs.
„Wieso?“
„Weil er tot ist … wegen ihm sitzt der Tannhäuser ja im Loch … hat ihm vermutlich mit einer Rasierklinge die Halsschlagader durchtrennt …“
„Wieso weiß ich davon nichts?“, Bergmann schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Ja Tschuldigung, aber ich habe davon auch erst am Wochenende erfahren … und woher soll ich wissen, dass Sie sich dafür interessieren …“
„Habe ich auch nicht … bis jetzt … Scheiße …“
Als Kovacs gegangen war, nahm Bergmann einen Bogen Papier vom Flipchart und befestigte ihn an der Innenseite seiner Schranktür – so viel Geheimhaltung war er den Kollegen vom BVT schuldig. Mit einem Faserstift begann er ein neues Muster zu erstellen, in dem er die Beziehungen zwischen Tannhäuser, Eisert, Troger und Schäfer zu skizzieren versuchte. Tannhäuser war ein verurteilter Mehrfachmörder, der sich als Werkzeug Gottes und seine Taten als Ausdruck himmlischer Gerechtigkeit sah. Eisert war ein hochbezahlter IT -Spezialist gewesen, der kurz vor seinem Tod Sprengzünder gebaut und wahrscheinlich vorgehabt hatte, einen Bombenanschlag auf ein öffentliches Gebäude durchzuführen. Mögliches Motiv laut BVT : apokalyptischer Wahn oder dergleichen. Troger: spielsüchtiger Jus-Student, Elternmörder, zu lebenslänglich in Stein verurteilt, vor kurzem von Mithäftling Tannhäuser getötet. Dazu zwei Amulette aus einer sonderbaren Legierung, die Eisert und Troger in Verbindung brachten. Und dann Schäfer, der Tannhäuser überführt und verhaftet hatte. Schäfer, der auch Troger verhaftet und nach Stein gebracht hatte. Schäfer, der Tannhäuser dreimal im Gefängnis aufgesucht hatte, worauf dieser Troger aus dem Weg geschafft hatte. Was darauf schließen ließ, dass Trogers Wissen eine Gefahr für Tannhäuser und möglicherweise auch für Eisert darstellte, oder? Hatten die selbst ernannte Hand Gottes und der Apokalypsenfanatiker irgendeinen teuflischen Plan mit welchem Ziel auch immer ausgearbeitet? Den Jus-Studenten Troger aus welchem Grund auch immer dafür rekrutiert? Und Schäfer war dahintergekommen? Aber wann und wie?
Auf der Fahrt zur Justizvollzugsanstalt Stein legte sich Bergmann eine Befragungsstrategie nach der anderen zurecht, die er allesamt wieder verwarf. Tannhäuser war hochintelligent, neben seiner Mordlust auch mit verblüffender Menschenkenntnis und Empathie ausgestattet und dementsprechend manipulativ. Ein Verbrechertypus, der Bergmann trotz aller Fortbildungen bei Psychiatern, Profilern, Kriminologen und Kriminalisten ein Rätsel blieb. Er konnte ihre Tatmuster lesen, die Art der Tötung einem entsprechenden Trieb oder einer bestimmten Lust
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