Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Er überflog das Inhaltsverzeichnis. Kurzgeschichten. Er hielt das Buch mit dem Rücken nach oben und schüttelte es. Kein Zettel mit einer geheimen Botschaft, schade.
Amos Goldmann, der nächste Wahnsinnige auf der Liste, murrte Bergmann in sich hinein. Er hatte Goldmann zwei oder drei Mal getroffen und sich kein gutes Bild von ihm bewahrt. Ein scharfsinniger Intellektueller, ein geistreicher Exzentriker, so mochten seine Freunde ihn nennen; für Bergmann war er ein arroganter Arsch, der mit seinem Judentum hausieren ging und deshalb glaubte, sich alles erlauben zu können. Wobei, ehrlich gesagt lag es nicht nur an Goldmann, gestand sich Bergmann ein, sondern an dieser ihm so fremden Künstler- und Geistesmenschenwelt, mit ihrem blasierten Bohemiengehabe, das mit reichlich Alkohol blitzartig ins Vulgäre und Taktlose kippen konnte. Schäfers Vierziger, nur als Beispiel. Den hatten sie bei Goldmann zu Hause im 1. Bezirk gefeiert, in einer für ihre Lage unglaublich abgefuckten Wohnung, die trotz ihrer zweihundert Quadratmeter kurz nach zehn so voll war, dass Bergmann bereits die Rettungsszenarien im Falle einer Massenpanik durchging. Es wurde gekokst, gekifft, gesoffen, niemand kümmerte sich darum, dass gut ein Dutzend Kriminalbeamte herumstand oder -saß oder -lag, die sich allerdings auch nicht gerade beispielhaft verhielten, wie peinlich war das alles, wenn da jetzt eine Streife wegen Lärmbelästigung anrückte, wie gern wäre Bergmann geflohen, doch er hatte seinem bereits um sechs Uhr angetrunkenen Major das Versprechen gegeben, auf keinen Fall vor ihm heimzugehen; und da er sich weder als Anstandsdame aufspielen noch seinen Vorgesetzten vor seinen Bekannten mit Gewalt aus der Wohnung bringen wollte, saß er in der Küche, trank deutschen Riesling – auch so ein geistreiches Geschenk von einem jüdischen Freund – und sah sich alle zwanzig Minuten einem neuen Gesprächspartner gegenüber, der unbedingt etwas über seine Arbeit erfahren wollte – wow, Mordkommission, ganz schön tough, oder? – und dann plötzlich für immer aufs Klo musste. Irgendwann zwischen eins und vier schlief er ein und wurde wenig später von einem wüsten Lärm geweckt, der ihn automatisch unter sein Jackett greifen ließ, das er aber gar nicht mehr anhatte, weil er damit eine am Boden schlafende Punkerin zugedeckt hatte; er sprang auf und sah Schäfer und Goldmann in eine wüste Keilerei verwickelt, sie warfen sich förmlich durch die Küche, Teller, Gläser, Tassen, dazu alles, was vom Buffet noch übrig war, ging unter Geschepper und Geklirre zu Boden, die beiden Streithähne hatten hochrote Köpfe, Schäfers Hemd war zerrissen, Goldmanns Nase blutete, dennoch gackerten die beiden wie blöd vor Lachen und wurden obendrein von den Umstehenden gehörig angefeuert. Bergmann ahnte, dass er bei einem allfälligen internen Drogentest seinen Urin würde hergeben müssen. Dann hatte Schäfer seinen Freund schließlich am Boden, fixierte ihn mit einer Beinschere und setzte sich dann blitzschnell auf Goldmanns Gesicht. So, du Nazarene, jetzt wirst du vergast, gluckste Schäfer und ließ einen gewaltigen Furz, worauf Goldmann nicht nur an seinem Gelächter fast erstickt wäre. So viel zum Thema exzentrischer Humor, mit dem Bergmann nichts anfangen konnte. Nichtsdestotrotz wäre es ein Fehler, nicht mit Amos Goldmann zu sprechen.
Strasser hatte das Mail des jungen Mannes, der mit Schäfer im Ottensteiner Wald gewesen war, kommentarlos weitergeleitet. Schwanz einziehen, aber das Messer in der Tasche offen halten, dachte Bergmann, und fragte sich, wieso er selbst nicht die geringste Lust verspürte, eine Intrige gegen diesen hinterfotzigen Trottel anzuzetteln. Weil er ihm damit ins offene Messer laufen würde, das war ihm bei Typen wie Strasser schon länger klar. Und weil es eine sinnlose Energieverschwendung war. Und weil man so etwas einfach nicht tat, aus. Er rief den Mann, Jonas Brühl, an und fragte ihn, ob er am Nachmittag in die Sicherheitsdirektion kommen könne. Woanders geht es nicht?, kam gleich die Gegenfrage. Aha, Vorgeschichte, sagte sich Bergmann reflexartig. Sie verabredeten sich für vier Uhr in einem Lokal in Neubau; und nach dem Auflegen war Bergmann dem Mann richtig dankbar, dass er ihm einen seriösen Grund geliefert hatte, eine Stunde weniger in der Nähe dieses Stimmungsverseuchers Strasser zu sein.
33.
Was war der Plan? Er hatte keinen Pass, wollte sich nicht auf ein Im-Klo-Versteckspiel mit den Schweizer
Weitere Kostenlose Bücher