Engel und Dämonen: Kriminalroman (German Edition)
Rinnsalen über ihre Wangen, sie kramte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch, tupfte ihre Augen ab und schnäuzte sich.
„Vor zwei Jahren hat es in Deutschland einen Fall gegeben“, fuhr Bergmann nach einer kurzen Pause fort, „wo eine Frau ihren Mann im Schlaf erschlagen hat …“
„Hören Sie bitte auf mit Ihren Geschichten!“, sagte sie.
„Okay … ich wollte nur sagen: Sie ist freigesprochen worden …“
„Ich weiß nicht, was Sie wollen! … Ich habe den Heinz erstochen, kapieren Sie das nicht?“
„Was ich will?“, Bergmann musste sich bemühen, nicht selbst wütend zu werden. Kapierte diese dumme Kuh denn nicht, was für sie auf dem Spiel stand? Scheiß auf deinen Ex, du Nuss. Der hat dich sechs Jahre lang misshandelt, der hat dich fast erschlagen!
„Sie sind zweiunddreißig Jahre alt und arbeiten als Aushilfskraft in einem Supermarkt, Ihre Mutter bezieht Invalidenpension, Ihr Vater ist irgendwo … Sie haben kein Geld, um sich einen guten Anwalt leisten zu können … wollen Sie für fünfundzwanzig Jahre ins Gefängnis oder nicht?“
„ …“
„Also: Sie unterschreiben mir ein Geständnis, dass Sie Ihren Exmann erstochen haben … von den Details, die Sie mir berichtet haben, steht in dem Protokoll noch nichts … ich werde beantragen, dass Sie vor einer weiteren Einvernahme mit einer Psychologin und dann mit Ihrem Pflichtverteidiger sprechen … und wenn Sie jetzt in Ihre Zelle gebracht werden, vergessen Sie Ihren toten Ex und denken Sie an sich und Ihre Zukunft … was Sie noch machen möchten, ob Sie Kinder kriegen wollen, einen Mann finden, der anständig zu Ihnen ist … was weiß ich … einverstanden?“
Er schrieb das Protokoll, druckte es aus, ließ sie es lesen und unterschreiben. Als sie von der Justizwachebeamtin abgeführt wurde, konnte er den Blick, den sie ihm zuwarf, als ein Danke deuten, oder auch nicht.
„Gratulieren Sie mir, Herr Major!“, sagte er zum leeren Stuhl gegenüber, „das war doch eine Einvernahme ganz nach Ihrem Geschmack, oder?“
Er stand auf, leerte die Untertasse mit den Zigarettenstummeln aus und öffnete auch noch das Fenster auf Schäfers Seite; die Frau hatte eine halbe Schachtel geraucht, und das in seinem Büro!
„Das heißt aber nicht, dass das jetzt zur Raucherzone wird!“, wandte er sich abermals mit erhobenem Zeigefinger an Schäfers Stuhl, stellte die Tassen in die Abwasch und wischte mit einem Wettex den Aschestaub vom Schreibtisch. Dann setzte er sich und schloss für ein paar Minuten die Augen. Diese Einvernahme – die weit entfernt davon war, eine unparteiische und objektive Aufnahme des Sachverhalts zu sein –, er hatte sie wirklich in Schäfers Sinn geführt. Besser gesagt: Er hatte sie so geführt, wie er es von Schäfer gelernt hatte; so wie dieser oftmals vernommen hatte, wenn die Täter-Opfer-Definition keine eindeutige war. Damit überschritt er seine Zuständigkeit, das war Bergmann klar; er machte sich vom Polizisten zum Richter und Verteidiger. Aber er war auch nur ein Mensch, oder?
38.
Er kam fünfzehn Minuten zu spät zu seiner Verabredung. Nicht weil er noch etwas Dringendes zu erledigen gehabt hätte oder aufgehalten worden wäre. Erschöpft war er, und ohne jedes Interesse an diesem Hobbypolizisten Walter Sigrist. Vor der Pizzeria hatte er Martin angerufen, auf die Mailbox gesprochen und gebeten, ihn gegen acht zurückzurufen. Damit konnte er einen Grund vorgeben, sich zu verdünnisieren, wenn ihm der Privatdetektiv zu sehr auf die Nerven ginge.
„Macht es Ihnen was aus, wenn wir zu den Rauchertischen gehen?“ Das fing ja schon gut an. Immerhin: Der Mann sah gut aus.
„Auch schon egal heute“, erwiderte Bergmann.
„Ich darf Sie einladen?“
„Nein, leider …“
„Ah … ganz korrekt …“
„Ja, leider …“
„Also gut … ich nehme an, dass Sie zuerst wissen wollen, was ich habe …“
„Waren Sie einmal bei uns?“
„Ja … ist aber schon acht Jahre her … beim Betrug …“
„Ah … Marschall Reiners …“
„Genau der …“
„Und warum sind Sie … sollen wir nicht per du sein?“
„Gern … Walter …“
„Bernhard … also: Warum bist du nicht mehr dabei?“
„Keine Energie mehr … zum Schluss habe ich nur mehr tachiniert und gehofft, dass sie mich raushauen …“
„Besser tachinieren als selbst korrupt werden“, sagte Bergmann und gab seine Bestellung auf.
„Ja, vermutlich …“, Sigrist griff in seine Aktentasche und holte einen Schnellhefter heraus.
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