Engelsauge - Die Jagd beginnt (German Edition)
dem sich eine weitere kleinere Schachtel sowie ein Umschlag befanden. Zitternd nahm ich zuerst den Umschlag in die Hände, öffnete ihn und holte einen Brief heraus. Ich entfaltete ihn ganz vorsichtig, als hätte ich Angst, er fiele plötzlich in sich zusammen. Dann tauchte die Handschrift meiner Mutter auf und erste Tränen schossen mir in die Augen.
Ich hatte, seit dem Tag an dem meine Eltern gestorben und ich zu den Jonsens nach Amerika musste, nie mehr richtig geweint. Am Anfang konnte ich, trotz der Schmerzen und der Sehnsucht nach ihnen, nicht weinen und dann hatte ich mich bereits so an dieses Gefühl gewöhnt, dass ich es nicht mehr konnte. Und so übertrug es sich auf mein ganzes Leben, sodass ich jetzt mit den ersten Tränen der Trauer nach siebzehn Jahren in Berührung kam. Schnell wischte ich sie mit dem Handrücken fort und begann zu lesen:
Meine liebste Enya,
mein über alles geliebtes Kind,
ich gratuliere Dir zu Deinem heutigen, ganz besonderen Geburtstag und es tut mir unendlich leid, dass ich all die Jahre nicht bei Dir sein konnte, so wie auch heute!
Du wirst bereits einiges wissen, zumindest hoffe ich, dass Du Arthur bereits kennenlernen konntest. Aber etwas möchte ich Dir, meine liebe Tochter, noch mit auf Deinen neuen Lebensweg geben: Ich hatte in meiner Schwangerschaft eine Vision von meinem Baby, von Dir, und von da an wusste ich nicht nur, wie ich Dich, liebste Enya, nennen soll, sondern auch, dass Dir Großes bestimmt ist! Vertraue Dir immer und zweifele nie an Dir! Du bist etwas Wundervolles, ein Geschenk für alle auf dieser Welt. Vertraue Dir und höre auf dein Herz, wenn Du nicht weiterweißt. Sei bereit und offen für das, was kommen wird!
Mein Geschenk an Dich soll Dich immer begleiten, Dir Kraft und Mut geben und Dir auch in dunklen Momenten ein Licht in Deiner Seele sein.
Ich werde immer bei dir sein und über Dich wachen,
Deine Dich liebende Mutter
Meine Augen hatten sich nun mit Tränen gefüllt, als ich den Brief zur Seite legte und die kleine dunkelblaue Schachtel in die Hände nahm. Die Tränen kullerten über meine Wangen und ungeachtet dessen öffnete ich die Schachtel, in der sich eine aus Weißgold verarbeitete wunderschöne Kette mit einer Perle, in der ein Auge zu sehen war, befand. Noch nie hatte ich so etwas Wunderschönes gesehen und legte sie auch gleich an, um sie sofort im Spiegel bestaunen zu können. Jetzt hatte ich endlich etwas ganz Persönliches von meiner Mutter, dachte ich, während ich mit den Fingern langsam über die Kette glitt.
In der Universität warteten bereits meine Freunde darauf, mir zu gratulieren. Normalerweise hätte ich nur widerwillig die Glückwünsche und Umarmungen entgegengenommen, aber seit dem Brief und dem Geschenk meiner Mutter hatte ich bessere Laune denn je und konnte zum ersten Mal seit Langem diesen Tag genießen. Nur Jadon fehlte mir zu meinem vollkommenen Glück noch. Er hatte mich zwar heute Morgen, kurz bevor ich los musste, noch schnell angerufen, es war aber eben einfach nicht dasselbe. Er hatte auch kaum Zeit gehabt, sodass ich ihm noch nicht einmal von dem Geschenk erzählen konnte.
Wie gerne hätte ich gewusst, was meine Mutter zu meinem durchaus außergewöhnlichen Freund gesagt hätte. Vielleicht hätten wir ihr sein Geheimnis anvertrauen können, ohne dass sie Angst bekommen hätte. Wahrscheinlicher aber war, dass sie gewusst hätte, wer er war. Immerhin kannte sie Arthur sehr gut. Aber diese Frage würde ich nicht mehr beantwortet bekommen. Der weitere Tag verlief jedenfalls normal, wie sonst auch, mit dem einen Unterschied, dass ich meine Finger nicht von der Kette nehmen konnte und auch sonst immer wieder in kleine Tagträume glitt, was zur Folge hatte, dass ich mehrfach ermahnt wurde, was mich heute ausnahmsweise mal nicht störte.
Alice war die Einzige, die nach den Kursen mit zu mir nach Hause kam, um den restlichen Tag mit mir zu verbringen. Alles andere hatte ich zuvor erfolgreich abwehren können, denn nach Party war den meisten Jugendlichen hier gerne.
Zuerst aßen wir im Diner, und nachdem Alice Cynthia über meinen Geburtstag informiert hatte, lud diese uns netterweise zu leckeren Burgern ein. Danach fuhren wir direkt zu mir nach Hause und verschwanden auch gleich in meinem Zimmer, wo wir es uns gemütlich machten, etwas Musik hörten, und den leckeren Erdbeerkuchen von Stewart verspeisten, den wir uns vorher noch mit zwei Gabeln mitgenommen hatten. Wir unterhielten uns wie so oft über alles
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