Engelsauge - Die Jagd beginnt (German Edition)
ihn zusammen mit dem Orangensaft heraus und setzte mich an den kleinen Küchentisch. Ich öffnete die Verpackung und holte einen kleinen leckeren Marmorkuchen heraus und biss hinein. Dazu trank ich den kühlen Saft und genoss für einen Moment die Ruhe und den Duft des Hauses.
Danach ließ ich alles liegen, Stewart würde sich später tierisch darüber aufregen, was mich amüsierte. Zumindest hoffte ich das. Wahrscheinlich tat ich es deshalb, denn ich mochte nicht eine Sekunde daran glauben, dass er nie mehr zurückkäme. Ich ging die Treppe zu meinem Zimmer hoch und begutachtete dabei die kleinen Bilderrahmen mit alten Fotos, die an der Wand hingen. Ich hatte keine Ahnung, was ich einpacken sollte. Zu schweres Gepäck wäre hinderlich und ich verfügte dank einigem Ersparten zwar über etwas Geld, aber das würde nicht lange reichen. Ich entschied mich schließlich nur für einen Rucksack und packte neben Unterwäsche und Socken noch eine lange und eine kurze Hose sein, sowie einen dicken Pullover und drei T-Shirts. Im Badezimmer nahm ich neben meinen Zahnputzartikeln noch etwas Haargel, Parfum, meine Bürste, ein Haarband und eine Flasche Shampoo mit. Auch ein kleines Handtuch quetschte ich noch in den Rucksack, ehe ich ihn unter viel Druck zumachte. Auch wenn mein Leben ab sofort in eine völlig andere Richtung gehen musste, so wollte ich dennoch gepflegt aussehen. Etwas weibliche Eitelkeit konnte ja bekanntlich nie schaden. Kurz bevor ich mein Zimmer wieder verließ, fielen mir noch einige Bilder an der Wand neben der Tür auf. Eines zeigte mich als dreijähriges Mädchen zusammen mit meiner Mutter. Steward hatte es mir nach meinem Einzug bei ihm geschenkt. Er meinte, mein Vater hätte es damals in einem gemeinsamen Urlaub von uns gemacht und es war das einzige Bild, was noch von ihr existierte. Ich steckte es zusammen mit einer lustigen Selbstaufnahme von Stewart und mir ein. Das Foto hatten wir erst vor einem Monat gemacht und uns mit Selbstauslöser fotografiert. Unsere Köpfe wirkten darauf viel zu groß, aber wir lachten mit vollem Einsatz in die Kamera. Beim Anblick musste ich sofort wieder lachen, so viel Spaß hatten wir an diesem Abend gehabt. Ich war froh darüber, dass ich eine Erinnerung daran hatte. Ich steckte beides in die vordere kleine Tasche des Rucksackes, ehe ich wieder nach unten ging.
Nun stand ich wieder unten im Flur, von wo aus ich die Küche, das Wohnzimmer und die Treppe nach oben sehen konnte. Das Haus wirkte leer, einsam und zurückgelassen - sein Haus! Aber jetzt war es auch meines geworden. Aber es wirkte nicht nur so auf mich, nein, ich musste hier der Realität ins Auge sehen. Es war einsam und verlassen und Stewart würde auch heute nicht hierher zurückkommen. Bei diesem Gedanken zog sich alles in mir zusammen. Ich drehte mich langsam im Kreis und schaute mir alles noch einmal ganz genau an. Alles hier erinnerte mich an ihn und diese Tatsache ließ meine Schmerzen nur noch stärker werden. Langsam ging ich zur Haustür und wusste, dass ich dieses Haus verlassen, dem Ort Vanicy den Rücken kehren und womöglich niemals mehr hierher zurückkommen werde. Aber jetzt galt meine ganze Stärke, meine ganze Aufmerksamkeit Stewart, den ich zu finden hatte und tief in mir ahnte ich, dass ich nicht viel Zeit dafür hatte.
Ich hatte den anderen etwas vorgemacht, sie alle getäuscht. Selbst den mächtigen Engeln gegenüber hatte ich es geschafft und niemand hatte auch nur den Hauch einer Ahnung. Sollten sie doch glauben, ich krieche vor ihnen zu Kreuze und erdulde alles. Aber da würden sie lange warten müssen, denn ich hatte mir vorgenommen, aktiv zu werden und nach Stewart zu suchen.
»Wohin des Weges?«
Ich erschrak, weil ich nicht nur gerade in meinen Gedanken versunken war, sondern auch gerade an Jadon dachte, der nun vor der Haustür stand und anscheinend auf mich gewartet hatte.
»Ich, ja, also ...« Oh je, das Stottern half mir jetzt alles andere als weiter und verlegen trat ich von einem Bein auf das andere. »Ich hab meine Sachen gepackt, so wie abgemacht. «
»War meine Vermutung also doch richtig«, stellte er entschlossen fest und seine Stimme klang etwas verärgert. Viel schlimmer aber war dieser enttäuschende Ausdruck in seinen Augen.
»Nein, Jadon, du verstehst das falsch. Bitte lass es mich dir erklären.«
Er nickte nur leicht mit dem Kopf und wartete.
»Ich wollte nicht einfach verschwinden«, fing ich an, woraufhin er mich mit großen Augen ansah. Er glaubte
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