Engelsblut
dann ins Schwesternwohnheim gezogen.
Margot hatte Rainer gefragt, ob sie nicht Doro mitnehmen sollten, auf ihrem Trip durch die Staaten. Aber Rainer war der Meinung gewesen, dieser Urlaub sollte nur ihnen beiden gehören. Doro war dann in Darmstadt geblieben. Und der Urlaub mit Rainer …
Irgendwie war ihr Leben ein wenig aus den Fugen geraten. Auch ihren Sohn Ben sah sie kaum noch. Er war vor einem halben Jahr mit seiner Frau Iris und den beiden Kindern nach Hamburg gezogen. Ben war Kunsthistoriker wie sein Vater. War aber etwas realistischer und fand dementsprechend auch immer gut dotierte Jobs. Derzeit bei einem großen Chemiekonzern. War dort für das Kultursponsoring verantwortlich. Sie telefonierten einmal pro Woche. Vor vier Wochen war die ganze Familie für ein Wochenende bei ihr zu Besuch gewesen. Rainer hatte dabei natürlich gefehlt. Das Wochenende war für Margot kaum erträglich gewesen. Nicht weil sie sich gestritten hätten. Sondern weil Margot sich wie das fünfte Rad am Wagen vorgekommen war. Iris und Ben waren ein eingespieltes Team, das auch immer nach außen demonstrierte, wie nah es sich war. Das Duzzi-Wuzzi hier und Schnucki-Schnucki dort hatte sie den letzten Nerv gekostet. Zu ihrer Enkelin Zoey hatte sie kein wirklich vertrautes Verhältnis, da sie sie kaum kannte. Und Kevin, der zweite Spross, war gerade vier Monate alt. Zoey war fast vier und ging seit Kurzem in den Kindergarten. Ben und Iris lebten die klassische Familienaufteilung: Er arbeitete und fuhr das Geld ein, sie kümmerte sich um die Kinder. Zoey war daher völlig auf Iris fixiert. Und Margot und Iris hatten zwar nichts gegeneinander, aber auch nichts füreinander.
Margot trank einen weiteren Schluck Wein.
Auch Cora, ihre beste Freundin, lebte nicht mehr in Darmstadt. Vor drei Monaten hatte sie einen Mann kennengelernt, übers Internet, und beschlossen, dass es die große Liebe war. Also hatte sie ihre Siebensachen gepackt, ihr Haus aufgegeben und war zu ihrem Scheich in die Eifel gezogen. Hillesheim. Margot hatte zunächst gedacht, sie hätte sich verhört, und Cora lebte nun in Hildesheim. Das wäre ja wenigstens noch Zivilisation gewesen. Margot hegte keinen Zweifel daran, dass Cora zurückkommen würde. Aber das würde eine Weile dauern.
Noch einen Schluck Wein. »Hold me close, melt my heart like April snow.« – Halte mich fest, lass mein Herz schmelzen wie Schnee im April. – Dolly Parton wieder … Du denkst noch ab und zu an ihn – Stimmchen Nummer zwei. Und ja, es stimmte. Hin und wieder dachte sie an Nick Peckard. Seines Zeichens Captain der Polizei in Darmstadt, Indiana, USA. Sie hatte ihn bei dem Fall vor einem Dreivierteljahr kennengelernt, bei dem sie auch den Plan entdeckt hatten. Ein Bürger des amerikanischen Darmstadts war in Darmstadt, Germany, ermordet worden. Gemeinsam hatten sie den Fall gelöst. Diesseits und jenseits des Atlantiks. Und Nick war ihr von Anfang an sympathisch gewesen. Und mit Nick …
Nein, sie weigerte sich, an ihn zu denken. Es war Zeit, ins Bett zu gehen. Margot stand auf, nahm Weinglas und Flasche in die Hand, um sie in die Küche zu tragen. Dolly sang nun ihre Version von »Me and Bobby McGee«. Klar war der Erotikfaktor von Kris Kristoffersons Stimme höher, aber Dolly hauchte dem Lied so viel Gefühl ein.
»One day near Salinas, I let him get away, he’s lookin for a home and I hope he finds it …« – Eines Tages in der Nähe von Salinas ließ ich ihn gehen, er sucht ein Zuhause, und ich hoffe, er wird es finden.
Eine Welle der Sehnsucht schlug über Margot zusammen. Jetzt nicht heulen …
»… I’d trade all of my tomorrows for a single yesterday.« – Ich würde alle meine Morgen gegen ein einziges Gestern tauschen.
Doch heulen.
In diesem Augenblick leuchtete das Display ihres Handys auf. Eine SMS. Hatte Rainer sich tatsächlich dazu durchgerungen, ihr eine Gute-Nacht-SMS zu schreiben?
Sie stellte Glas und Flasche wieder ab, nahm das Handy in die Hand.
»Komme bald nach Deutschland. Freue mich, dich wiederzusehen.«
Margot ließ sich wieder in den Sessel sinken.
Goss sich noch ein Glas Wein ein.
Die SMS war nicht von Rainer. Sie war von Nick. Und Margot war sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht.
DIENSTAG
»Hab ihn!«, rief Horndeich und vollführte mit dem rechten Arm die »Strike!«-Bewegung.
»Was hast du?«
» Wen habe ich, muss die Frage lauten.«
Margot hatte in der Nacht nicht wirklich viel geschlafen. Und während der
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