Engelsblut
wenigen Stunden Schlaf, die ihr vergönnt gewesen waren, hatte das Traumkino B-Filme des Horror-Genres im Triple-Feature gespielt. »Sag’s einfach.« Das waren die Worte, die dem Kollegen signalisierten, dass er sich von nun an besser in einer humor-und ironiefreien Zone bewegte.
»Ich habe ihn gefunden. Alexander Aaner, der Bruder des Toten. Er lebt in Aschaffenburg. Und wir können gleich vorbeikommen.«
Hinrich hatte ihnen am gestrigen späten Abend noch per Mail zukommen lassen, dass der DNA-Vergleich von Haaren und Leichen bestätigt hatte, dass es sich bei den Toten um das Ehepaar Aaner handelte.
»Jetzt?«
»Jetzt. Er hat sich extra kurzfristig den Vormittag freigenommen.«
»Gut, dann lass uns aufbrechen.« Die letzten Silben von Margots Worten wurden vom Klingeln ihres Telefons übertönt. Auf dem Display sah sie, dass es ein Kollege vom ersten Revier war. Sie nahm ab. »Hesgart.«
»Oppwert, vom ersten Revier. Wir sind vorhin zu einer Schlägerei gerufen worden. Und eine der Beteiligten will unbedingt mit Ihnen sprechen.«
»Wer ist das?«
»Eine gewisse Sonja Leibnitz. Hat in der Wohnung von einem Reinhard Zumbill randaliert. Der hat eine geprellte Nase und sie ein Veilchen. Sie behauptet steif und fest, Zumbill hätte seine Freundin umgebracht.«
»Haben Sie die Sache mit der Schlägerei schon aufgenommen?«
»Ja. Frau Leibnitz könnte gehen. Aber sie will unbedingt mit Ihnen reden.«
»Ist gut, ich bin gleich da«, sagte Margot und legte auf.
»Was ist?«, fragte Horndeich.
»Diese Freundin von der Zugleiche hat deren Freund, den Lokführer, vertrimmt. Und will jetzt mit mir reden. Ich geh zu ihr und hoffe, dann ist ein für alle Mal vom Tisch, dass er angeblich seine Freundin ermordet hat. Er hat sie überfahren, aber Mord kann man daraus wirklich nicht machen.«
»Gut«, meinte Horndeich, »dann fahr ich allein zu dem Bruder.«
Zwanzig Minuten später saß Margot in einem der Verhörräume im ersten Revier, ihr gegenüber Sonja Leibnitz.
»Danke, dass Sie mit mir sprechen«, sagte sie. Ihr Blick ging an Margot vorbei, sie wirkte verlegen.
»Warum haben Sie Reinhard Zumbill angegriffen?«, eröffnete Margot das Gespräch ohne jede Höflichkeitsfloskel.
Die Verlegenheit blieb, als die Angesprochene antwortete: »Weil er meine Freundin auf dem Gewissen hat.«
»Frau Leibniz, ich möchte das gern endgültig mit Ihnen klären: Reinhard Zumbill hat seine Freundin mit dem Zug überfahren. Das ist richtig. Aber es handelt sich nicht um Mord. Es ist wohl eher tragisch, dass Susanne Warka ausgerechnet diesen Zug für ihren Selbstmord gewählt hat.«
Nun sah Sonja Margot direkt an. »Nein. Sonja hat sich nicht umgebracht. Sie wurde ermordet.«
»Frau Leibnitz, bevor ich hierhergekommen bin, habe ich extra noch mit der Gerichtsmedizin telefoniert. Sie haben nun die Laborergebnisse. Um es kurz zu machen: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Ihre Freundin sich nicht selbst umgebracht hat. In ihrem Blut gab es keine Hinweise auf irgendwelche Drogen. Und ihr Promillewert lag exakt bei 0,0.«
»Er hat sie trotzdem ermordet.«
Margot seufzte. »Nein. Er hat den Zug gefahren, vor den sich Ihre Freundin geworfen hat.«
Sonja Leibnitz sah Margot direkt an. »Frau Hesgart, Susanne hat sich nicht umgebracht. Vielleicht hat er sie erst getötet und dann auf die Gleise gelegt.«
»Kaum. Denn er war ja schon seit sechs Uhr im Dienst. Und erst vom letzten Zug wurde sie überfahren. Dazwischen sind noch eine ganze Reihe andere Züge diese Strecke entlanggerauscht.« Auch wenn Margot den Fahrplan der Odenwaldbahn nicht im Kopf hatte – selbst sonntags fuhren die Züge mehr als einmal am Abend, dessen war sie sich sicher. Zumal die Strecke am Ort des Selbstmordes eingleisig war und die Züge in beide Richtungen fuhren.
»Wenn es nicht Reinhard gewesen ist, dann war es jemand anderes in seinem Auftrag. Vielleicht ist sie doch irgendwie gestoßen worden.«
»Nein, Frau Leibnitz, sie ist nicht gestoßen worden. Zumbill hat ausgesagt, sie habe auf den Schienen gesessen …«
»Klar hat er das gesagt – er wird jeden Mörder decken. Oder hat mit ihm gemeinsame Sache gemacht!«
»… und es gibt keine der typischen Blutergüsse am Rücken, die darauf hindeuten, dass sie gestoßen worden wäre.«
»Frau Hesgart. Darf ich Ihnen ein wenig von Susanne Warka erzählen?«
Margot wusste nicht recht, ob sie sich diese Geschichte von Sonja Leibnitz anhören sollte. Es gab im Fall Susanne Warka nichts mehr zu
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