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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kibler
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knüpfte er Kontakte in die Oldtimerszene und sog das Wissen förmlich auf. Zuerst verkaufte er den Traktor und dann den BMW. Und von dem Geld, das er dafür bekam, kaufte er vier andere Oldtimer, die er ebenfalls restaurierte. Er beendete die Banklehre, machte den Führerschein. Ich glaube, seine erste Million hatte er nach fünf Jahren. Und der Laden in Wiesbaden brummt. Direkt in der Nachbarschaft ist jetzt ein Ferrari-Laden. Mein Bruder hat mir erzählt, er hat schon zweimal erlebt, dass jemand dort seinen Ferrari in Zahlung gegeben hat, um dann in seinem Laden einen perfekt restaurierten E-Type oder einen Mercedes 300 SL zu kaufen.«
    »Und hatte er Feinde?«
    »Feinde? Ich denke, nicht wegen des Autohauses. Der Ferrari-Laden, der hat schon mal ein paar Farbbeutel kassiert, von Jungs bei einer linken Demo. Aber nicht wenige der Demonstranten haben dabei sehnsüchtige Blicke in den Verkaufsraum meines Bruders geworfen. Nein, jeder liebte seine Autos – und alle liebten meinen Bruder. Er hat sich sein Imperium mit seinen Händen, seinem Sachverstand und mit Geschäftssinn aufgebaut. Und ohne Schiebereien.«
    »Sie sagten, er hatte noch einen zweiten Laden. Weshalb?«
    »Ganz einfach: Er hatte den richtigen Riecher. Als die Mauer fiel, zog er durch den Osten. Und kaufte ein. All die Wagen, die er später, während der Ostalgie-Welle, an den Mann brachte. Er mietete bei Potsdam eine riesige Halle. Nach zwei Jahren war die Halle voll. Sicher an die hundert Trabbis, sogar einen der drei Trabant P 800 RS, die extra für den Rallyesport gebaut worden sind. Dann einige Wartburgs, einige Barkas, polnische Warszawas und Syrenas. Aber auch drei russische Tschaikas, einen ZIS-110, quasi ein russischer Packard. Den Wagen, der draußen steht, den Wolga, den habe ich auch über ihn. Die osteuropäischen Wagen, die wurden zu seinem Steckenpferd, und das Geld machte er mit den Oldtimern aus Europa und den USA.«
    »Und auch in dem zweiten Laden keine Feinde?«
    »Nicht dass ich wüsste.« Aaner überlegte kurz. »Nein, wirklich nicht. Sie sollten sich mal mit seinem Geschäftsführer unterhalten. Das operative Geschäft hatte Paul schon lange abgegeben. Er ist nur noch auf der Suche nach seltenen, gut erhaltenen Stücken herumgereist. Als Polen und die Baltik-Staaten 2004 zur EU kamen, war er auch viel unterwegs. Nein, wenn man nicht betrügt, macht man sich in dem Job wahrscheinlich eher Freunde als Feinde.«
    »Wie war denn seine Ehe?«
    »Gut. Glaube ich. Wie gesagt, der Kontakt zu meinem Bruder war nicht besonders intensiv. Wir waren schon immer sehr unterschiedlich. Er hat Regine vor sechs Jahren kennengelernt und schnell geheiratet. Ich war auf der Hochzeit. Und danach nur noch zweimal bei ihnen. Einmal, als sie in das Haus gezogen sind, und einmal vor zwei Jahren, Weihnachten. Regine hat darauf bestanden, sie wollte den Kontakt verstärken. Heinz und sie hatten einen guten Draht zueinander. Aber mein Bruder und ich – wir haben uns nie so gut verstanden. Meine Welt sind die Bücher. Ich arbeite in der Hofbibliothek hier im Schloss.«
    »Wissen Sie, ob Ihr Bruder Probleme hatte? Persönlicher oder finanzieller Art?«
    »Geld hatte er immer genug. Persönlich? Ich weiß es nicht. Ich glaube kaum, aber hundertprozentig sicher bin ich mir nicht.«
    Aaners Antworten wirkten reserviert. Horndeich war nicht traurig darüber, dass der Mann nicht in Tränen ausgebrochen war, als er die Nachricht vom Tod des Bruders und dessen Frau erhalten hatte. Aber derart kühl und verhalten – das war eine Spur zu distanziert für seinen Geschmack.
    Nach dem üblichen Abschiedsritual – »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte« – verließ Horndeich das Haus. Er drehte noch einmal eine Runde um den Wolga. Horndeich konnte die Begeisterung für diese alten Automobile gut nachvollziehen. Der Anblick des Balkentachos zauberte ein breites Lächeln auf sein Gesicht.
    Er schlenderte zu seinem Dienstwagen – ein Opel Insignia.
    Kein Balkentacho.
    Schade eigentlich.
    Der vergangene Sommer war wettermäßig eine Katastrophe gewesen. Entweder hatten die Temperaturen versucht, den Wettstreit mit dem Herbst zu gewinnen, oder die tropische Luftfeuchtigkeit hatte die Klamotten am Leib kleben lassen. Zum Ausgleich strahlte jetzt, im Herbst, schon seit Tagen die Sonne vom blauen Himmel, und das bunte Laub zauberte romantische Stimmungen in den Tag.
    Die Mittagspause gehörte Horndeich und seiner Frau, das hatten sie beschlossen, als

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