Engelsblut
auf den Pause-Button, zoomte das Bild größer. Die Frau hatte ein fein geschnittenes Gesicht und hohe Wangenknochen. Sogar die blaue Augenfarbe konnte man dank der Qualität der Aufzeichnung erkennen. Sie trug einen roten Mantel, so wie Torben Wankel gesagt hatte.
»Können Sie das speichern?«, fragte Margot.
»Schon geschehen. Soll ich es komplett durchlaufen lassen?«
»Gern.«
Alle schauten gebannt auf den Stummfilm, der sich auf dem Monitor aus mehreren Perspektiven zeigte. Nachdem die Frau nach ungefähr zehn Minuten den Laden wieder verlassen hatte, hatte Margot nicht den Eindruck, noch um irgendeine Erkenntnis reicher geworden zu sein. Aber allein das Bild ihres Gesichts würde ihnen sicher weiterhelfen. Margot hatte wenig Zweifel daran, dass der Schmuck aus dem Tresor der Aaners stammte. Vielleicht war die Frau nicht die Mörderin. Aber sie war auf jeden Fall am Tatort gewesen.
»Jetzt zeige ich Ihnen den Mann.«
Wenige Klicks später war auch das Bild des jungen Mannes auf Festplatte gebannt.
»Ich gebe Ihnen alle Bilder vom Schmuck und die Bilder des Pärchens mit«, sagte Tramer.
»Dürften wir Sie bitten, das auf eine CD zu brennen?«
Tramer hantierte kurz am Computer, dann hielt er Greven einen Speicherstick hin.
»Super, danke«, meinte Greven, »den bringen wir Ihnen zurück, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind.«
»Nicht nötig«, meinte Tramer. »Ist ein Werbegeschenk. Können Sie behalten. Ich habe auch noch die Filme draufgepackt, auf denen die beiden zu sehen sind.«
Margots Blick fiel auf den Stick. Sie erkannte den Aufdruck »16 GB« und dass die Außenhülle des Sticks offenbar aus gebürstetem Alu bestand. Okay, war ja auch das Werbegeschenk eines Juweliers. Aber Geschenk hin oder her – die Kollegen würden das Teil auf jeden Fall wieder zurückbringen.
Die Beamten bedankten sich bei Tramer, verabschiedeten sich und gingen zum Wagen.
»He, magst du heute Abend mit mir essen gehen?«
Margot schaute Greven in die Augen. »Sei mir nicht böse, aber das ist keine gute Idee.«
»Äh – was ist an Nahrungsaufnahme keine gute Idee?«
Margot fasste Greven am Unterarm. »Nein. Danke.«
Greven zuckte mit den Schultern. Und es war ihm anzusehen, dass er Margot nicht verstand.
Verlangt ja auch niemand von ihm, dachte Margot. Tat sie ja selbst oft nicht.
Margot hatte etwas gegessen. In einem Restaurant hatte sie sich eine Scholle bestellt – wenn sie nun schon mal so nah an der Nordsee residierte. Dazu Bratkartoffeln und ein wenig Gemüse. Alles lecker.
Nun saß sie bei einem Cappuccino und schickte via Laptop die Ergebnisse des Besuchs bei dem Juwelier nach Darmstadt. Als das erledigt war, gönnte sie sich einen Linie Aquavit. Zu Hause hatte sie etwas so Hochprozentiges nicht im Regal. Und Aquavit gehörte für sie in den Norden.
Ihr Handy meldete sich. Sie zog es aus der Schutzhülle. Eine SMS. Von Nick. »Schade. Abend wäre schöner mit dir. Wann kommst du zurück?«
Sie schaltete das Handy aus und steckte es ein.
Sie mochte Nick wirklich gern. Aber sie wollte ihn im Moment einfach nicht sehen und erinnerte sich daran, wie
sie mit ihm in Evansville essen gegangen war. Nachdem Rainer ihr verkündet hatte, er könne nicht mit ihr in Urlaub fahren, und man würde das nachholen – blablabla –, hatte sie sich mit Nick zum Abendessen getroffen. Nick hatte ihr wieder einmal erzählt, wie schön seine Heimat Indiana sei. Indianapolis mit der berühmten Rennstrecke, der Gateway Arch in St. Luis oder Opryland in Nashville – der Ort, an dem die Countrymusic zu Hause war.
»Dann zeig mir doch all diese Dinge«, hatte Margot im Scherz gesagt.
Und Nick hatte sie mit großen Augen angeschaut.
Sie lenkte ihre Gedanken wieder in die Gegenwart. Und wusste, dass es besser gewesen war, Nick jetzt aus dem Weg zu gehen.
Wieder piepte das Handy. Wieder eine Nachricht. Abermals nahm sie das Gerät aus der Hülle.
»Nicht doch noch Lust auf einen gemeinsamen Absacker? Ole.«
Heute bin ich echt gefragt, dachte Margot. Sie schrieb auch an Ole keine Antwort und schmunzelte. So nett er auch war – ihr war nicht nach einem Abend mit einem anderen Mann.
Vielleicht würde Rainer ihr ja auch mal wieder eine SMS schreiben? Es war wirklich höchste Zeit, dass sie sich wieder einmal sahen. Sie steckte das Handy weg und bestellte sich noch einen Linie.
»Deine Ehe ist ernsthaft in Gefahr.« Der Gedanke stand in leuchtenden Lettern auf der großen Leinwand in ihrem Kopf.
Quatsch, rief sie
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