Engelsblut
gibt«, murmelte Andreas. »Und ich kann nicht gehen, ehe ich nicht ausreichend davor gewarnt habe.«
Trostlos trat er zurück, während Veronika rasch das Gefährt verschloss und dem Kutscher ein Zeichen gab, er möge eiligst losfahren.
Andreas starrte auf die Räder und später, als die Kutsche den Hof verlassen hatte, auf die schmale Spur, die sie im erdigen Boden hinterließen. Gesenkten Kopfes wollte er sich wieder hineinschleichen, doch da fühlte er sich beobachtet, blickte unwillkürlich hoch und gewahrte Samuel am Fenster seines Gemachs stehen.
Er schien bereits geraume Zeit dort gestanden und das Treiben im Hof beobachtet zu haben.
Dass jemand seiner ansichtig wurde, vertrieb ihn nicht, wie Andreas erwartete, sondern hellte sein verschlossenes Gesicht auf.
»Hat sich etwa meine schwachsinnige Mutter nach mir gesehnt?«, höhnte er von oben herab. »Es fällt ihr wie stets reichlich spät ein, dass sie einen Sohn hat. Seinerzeit musste erst die arme Felicitas im eigenen Blut verrecken, bis die werte Gräfin sich daran erinnerte, dass sie ein Kind geboren hat. Und kaum habe ich sie gemalt, war’s um dieses Wissen schon wieder geschehen.«
Andreas zuckte zusammen, trotzte aber Samuels Blick und gab ihm Antwort.
»Deine Mutter mag deinen Hass verdienen«, meinte er ruhig. »Aber Gräfin Veronika ist eine anständige Frau, die nichts weiter wollte, als dich von diesem Ort fortzuholen. Sie hat die Wahrheit erkannt!«
»Die Wahrheit ist, dass die Menschen allesamt nichts taugen!«, zischte Samuel, und das Lächeln schwand ihm von den Lippen.
Andreas fühlte, wie seine Knie zitterten, aber anstatt zu wanken wie vorhin, blieb er aufrecht stehen.
»Nein!«, rief er zu Samuel hoch. »Nein, die Wahrheit ist, dass deine Engel nicht dazu taugen, vergessen zu machen, dass man dich kränkte und verkannte!«
»Oho!«, kreischte Samuel verärgert. »Wie klug sich unser armseliger Andreas heute gibt! Wie er da meint, mich durchschauen zu können! Und was, elender Kretin, willst du mit dieser Erkenntnis tun?«
Andreas schwieg. Es fiel ihm keine Antwort ein – nur Verzweiflung, weil Lena doch Gleiches ahnen müsste wie er und weil Lena dennoch ihren Schrei an Veronika vergeudet hatte, anstatt Samuel zu befehlen, das sinnlose Engelmalen aufzugeben.
»Ich weiß, was du tun wirst«, rief Samuel von oben herab, da Andreas nichts sagte. »Du wirst daran zugrunde gehen! Du wirst einen Strick nehmen und dich damit erhängen! Denn das ist, was einer wie du verdient!«
Ohne eine Entgegnung abzuwarten, lachte er ein letztes Mal kreischend auf, trat zurück und schlug das Fenster zu. Andreas sah an seinem Schatten, wie er unruhig den Raum auf und ab schritt.
»Ja«, murmelte er, und seine Augen wurden schmal. »Ja, das hat einer wie ich verdient. Aber jetzt noch nicht. Später.«
Noch Tage später träumte Andreas von Veronikas Händen um seinen Hals und wie er sie darum bat, fester zuzudrücken. Er war enttäuscht, wenn er erwachte und gewahrte, dass er lebendig war und dass sie ihn nicht als Leichnam zurückgelassen hatte. Er rieb sich die Augen, wünschte sich den Tod, den Samuel ihm angeraten hatte, aber entschied, dass er zuerst ein Verräter werden und erst dann sterben wollte.
Andreas von Hagenstein kehrte sich gegen Samuel Alt. Er sagte sich von dessen Trachten los, mit dem Blut liebender Menschen Engel zu malen. Er war der Erste und der Einzige.
Wieder fiel er dafür lange Zeit ins Schweigen. An dessen Ende sprach er beim Bürgermeister vor, dem die Verwaltung der Ortschaft oblag, woran das Palais Hagenstein grenzte.
Jener Bürgermeister hieß Maximilian Scheyrer. Er hatte es zeitlebens nicht zum Kreishauptmann gebracht, und seine Besoldung war kärglich. Immerhin bestand Aussicht auf eine gesicherte Pension und die Versorgung von Witwe und Waisen. Das war auch etwas, das zählte.
So erklärte er es zumindest Andreas von Hagenstein, als jener bei ihm vorstellig wurde, und freute sich über einen Gesprächspartner, der von Adel war.
Noch ehe Andreas zu sprechen ansetzen konnte, hatte Maximilian Scheyrer ihm bereits die Vorzüge und Nachteile seines Amtes erläutert und ihm darüber hinaus Holunderlikör angeboten. Dieser Likör wurde nach dem Rezept seiner verstorbenen Mutter, Gott habe sie selig, gebraut. Schon seit Kindesalter nippe er, Maximilian Scheyrer, zum Zwecke der Gesundheit regelmäßig daran. »Allerdings«, erklärte er, »allerdings müsst Ihr Obacht geben: Mit dem dunkelroten Saft heißt’s
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