Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
Touché!“
Alan betrachtete die Lagen metallisch glänzenden Klebebands, die seine Handgelenke an die Stange fixierten. „Was willst du?“, fragte er.
„Mordechai ist dein Vater, nicht wahr?“ Kain ließ sich vor ihm in den Sand sinken. Er stützte seine Arme auf die Knie und hörte nicht auf, mit dem Dolch zu spielen. „Liebst du ihn?“
Alan starrte nur auf ihn herab.
„Wahrscheinlich nicht“, antwortete Kain sich selbst. „Er würde das auch nicht wollen. Er hält Liebe für eine Schwäche, aber das weißt du sicher.“
„Wer bist du?“
„Ich?“ Kain hob eine Handvoll Sand auf und ließ sie durch die Finger rinnen. „Nur ein missratener Sohn.“ Er lächelte fast verträumt. „Meine Mutter hatte wunderbares Haar. Wie gesponnenes Gold aus dem Märchen. Im Gegensatz zu Mordechai habe
ich
sie geliebt.“
„Wer hätte das gedacht“, murmelte Alan. Sein Kopf schwamm in der Unwirklichkeit des Moments. „Ich habe einen Bruder.“ Das Gefühl, in einen Zerrspiegel zu blicken, wurde stärker. Ironisch, dass der Mann vor ihm aussah wie ein Engel auf einem Gemälde. Schatten hinter einer Maske aus Licht.
„Halbbruder“, korrigierte Kain. „Kein Grund, sentimental zu werden.“
Alan erwiderte nichts.
Das Lächeln in Kains Augen verblasste. „Du wirst mir helfen“, sagte er. „Mit Mordechai. Du wirst mir einen Weg zeigen, wie ich an ihn herankomme.“
„Soll ich dir seine Telefonnummer geben?“
Kain lachte auf. „Ach, die habe ich längst. Aber er nimmt nicht ab.“ Er verzog einen Mundwinkel. „Ich will, dass du mich in seine Festung bringst. Ich will mich privat mit ihm treffen. Ganz ungestört über alte Zeiten plaudern. Über die Liebe zwischen Vätern und Söhnen.“ Obwohl er leichthin sprach, klirrte Erbitterung in den Worten. Schroffe Feindseligkeit.
„Du suchst Vergeltung.“
Kain starrte einen Moment zu Boden. Dann schleuderte er den Sand beiseite und stand auf.
„Wie komme ich an ihn heran?“
Sein Blick verriet Dinge, die seine Worte nicht preisgaben. Alan wußte nicht, wie lange die Jagd bereits andauerte. Doch Fanatismus lag in diesem Blick, eine stille Begierde, die über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte genährt worden war. Hass war ein fester Bestandteil von Kains Leben. Nichts mehr würde von Bedeutung sein, wenn Mordechai vor ihm stand. Nichts, außer der versprochenen Erlösung. Ob Kain bewusst war, wie trügerisch ein Versprechen war, das in der Vergeltung lag? Er selbst hatte nie den Seelenfrieden gefunden, der jenseits der Rache lockte. Vor allem aber konnte er ihm nicht geben, wonach sein Halbbruder verlangte. Doch wie sollte er ihm das sagen?
„Wie lange bist du schon hinter ihm her?“
Kain umkreiste ihn, geriet aus seinem Blickfeld. Alan hörte seine Schritte im Sand und seine Stimme hinter sich. „Ich wurde 1953 geboren. Mordechai glaubte, er könnte sie behandeln wie Dreck, weil sie eine Hure war.“ Für einen Moment lag Stille in den Schatten. „Oder vielleicht war sie nur zu schwach für ihn. Ich weiß nicht, sag du es mir. Hat er auch deine Mutter wie Dreck behandelt?“
Die Luft war ein Netz vibrierender Fäden, aufgeladen mit Elektrizität. Ein Windhauch genügte, um alles zur Explosion zu bringen. Alan konnte ihn nicht sehen, doch er spürte, dass sein Halbbruder zitterte vor Wut. Der Hass in ihm war längst nicht so kalt, wie Alan geglaubt hatte.
„Oder war sie auch eine Hure?“
Der Gleichmut in Kains Stimme klang gestellt. Er forderte Alan heraus. Was seltsam war, da er ihn doch bereits in seiner Gewalt wusste. Oder vielleicht ging es um etwas anderes. Eine subtile Kraftprobe.
„Ich weiß nicht“, sagte Alan. „Ich kannte sie kaum.“
Der Atem des Killers streifte seinen Nacken. Noch immer sickerte Blut aus seiner Wunde im Rücken. Kains Hand glitt ihm über die Schulterblätter. Er versteifte sich in Erwartung eines neuerlichen Schmerzes. Doch Kain blieb reglos stehen.
„Wie komme ich in sein Refugium?“
„Um ihn zu töten?“
„Willst du ihn retten?“
Alan schnaubte. „Wenn du dich mit ihm schlagen willst, nur zu!“ Er drehte seine Handgelenke in den Fesseln. Dann traf ihn ein Hieb in die Kniekehlen und er verlor den Boden unter den Füßen. Schmerz schoss in seine Schultergelenke.
„Du wolltest mir einen Weg in sein Haus beschreiben“, sagte Kain an seinem Ohr.
Alan keuchte. „Du kennst seine Festung in Long Beach?“
„Es gibt keinen offensichtlichen Weg hinein.“
„Und das ist die Wahrheit“, knurrte
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