Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
in seinem Kopf festgesetzt, mit ihrem Duft, ihrer Stimme und ihrem kühlen, grauen Blick.
Was, wenn er glauben sollte, dass die Icoupov-Brüder ihn überfallen hatten? Wenn jemand den Angriff auf ihn inszeniert hatte, aber sicherstellen wollte, dass der Verdacht auf die Downtownkiller fiel?
Die Vorstellung war absurd. Es gab kein sinnvolles Motiv. Seit Alan sich aus Mordechais Geschäften zurückgezogen hatte, war er praktisch unsichtbar. Er stand niemandem im Weg, war weder in Rivalitäten noch Kämpfe verstrickt. Es gab keine unbeglichenen Rechnungen. Keine zumindest, bei denen ein Feind so viele Jahre gewartet hätte, um seine Rache zu vollziehen. Es gab keinen Grund, dass ihm jemand zwei Killer auf den Hals schicken sollte.
Alan tastete nach der frischen Narbe über seinen Rippen. Als er Eves Verletzung geheilt hatte, hatte Angst ihn getrieben. Die Vorstellung, dass sie sterben könnte, hatte ein irrationales Entsetzen in ihm wachgerufen, das alle anderen Empfindungen verdrängte. Er hatte nicht über die Konsequenzen nachgedacht, als er eine Ader in der Armbeuge öffnete, um sein Blut in ihre Wunde tropfen zu lassen. An die Fragen, die sie stellen würde.
Und nun wusste er nicht, wie er sie zufriedenstellen konnte, ohne ihr seine Natur zu offenbaren. Was wiederum undenkbar war. Wenige Menschen kannten das Mysterium des Bluts. Alan wollte keinen weiteren Mitwisser erschaffen. Mordechai tat es von Zeit zu Zeit, machte Menschen zu seinen Vertrauten. Doch Alan war nicht Mordechai. Andere, mächtigere Schattenläufer würden Eve jagen, wenn sie erfuhren, dass sie ihr Geheimnis kannte.
Aber was hätte er tun sollen? Sie sterben lassen?
Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Die kalte Luft malte Gänsehaut auf seine Arme. Wieder rekapitulierte er den Überfall von vor zwei Tagen. Und was, wenn sie ihn gar nicht hatten töten wollen?
Er hatte das alles nicht durchgedacht. Er hatte die Flucht der Angreifer mit Eves Auftauchen in Verbindung gebracht. Aber das war Unsinn. Eve war kein Gegner für zwei Killer vom Blut, selbst mit ihrer Pistole nicht. Die Männer hätten sie leicht vernichten und ihr Werk beenden können. Stattdessen waren sie geflohen. Was, wenn ihn jemand nur glauben machen wollte, das die Icoupov-Brüder auf seinen Tod aus waren? Jemand, der hoffte, dass Alan sie danach aufstöbern und zur Rechenschaft ziehen würde? Jemand der wusste, was er einst gewesen war? Es gab nicht viele, die das wussten. Nur eine Person.
‚Mit dir oder gegen dich.‘ Er dachte an ihr Streitgespräch vor ein paar Tagen, kurz vor der Vernissage. Seine Fäuste krampften sich um die Fensterbrüstung.
„Katherina“, presste er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Katherina.“
Mit einem Mal schoben sich die Puzzleteile ineinander und Alan verstand.
Sie hatte ihn gezwungen, seinen Schwur zu brechen. Sie hatte ihn in einen Krieg gestoßen, der nicht der seine war. Aber er ließ sich nicht manipulieren. Nicht von Mordechai und nicht von ihr.
Sie wollte Krieg? Sie sollte ihn haben. Doch er würde die Regeln bestimmen.
11
E ve drehte sich vor dem Spiegel. Das Kleid war schwarz und seidig und spielte glänzend um ihre Knie. Sie konnte kaum glauben, dass sie sich binnen zweier Tage zwei neue Kleider gekauft hatte, nachdem sie es mehr als fünfzehn Jahre vermieden hatte, auch nur einen Rock zu tragen.
Am Morgen hatte sie am Artikel für die LA Times weiter geschrieben. Sie hatte ihre Idee formuliert, dass es sich nicht um einen, sondern um zwei Killer handelte. Sie blieb vage, verhüllte ihre These in Andeutungen und Indizien. Im Nachfolgeartikel würde sie die Karten auf den Tisch legen. Der Gedanke war aufregend. Andrew, der immer noch auf ein Date mit ihr hoffte, hatte ihr einen Kontakt zum Laboranten des LAPD vermittelt, der Haar- und Speichelproben untersucht hatte, die bei den Opfern gefunden worden waren. Der Laborant hatte sich gegen zweihundert Dollar bereit erklärt, Andrejs Haarprobe zu analysieren und mit den anderen Proben zu vergleichen.
Das war ein produktiver Tagesbeginn gewesen, so dass Eve kaum Gewissensbisse verspürt hatte, als sie sich eine Mittagspause bei Macy’s gönnte, um sich ein Kleid für das Abendessen zu kaufen. Sie genoss den eitlen Moment vor dem Spiegel. Es war verrückt, lächerlich und etwas, das sie sich nicht gern eingestand, aber sie war aufgeregt wie ein Teenager vor dem Abschlussball. Rücklings ließ sie sich aufs Bett fallen und betrachtete ihre Füße in den
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