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Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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nicht?
    Sie war gerade Zeugin einer Wiederauferstehung geworden. Der Mann hätte eigentlich tot sein müssen. Und sie ebenfalls. Warum also nicht? Warum sollte es dann nicht auch möglich sein, dass er 1610 in Marseille geboren war und seither im Körper eines Mittdreißigers die Welt durchwanderte? Eines sehr attraktiven Mittdreißigers im Übrigen. Eve lachte ein nervöses Lachen.
    „Aber du bist nicht zufällig Lestat, der Vampir?“ Sie hatte einen Scherz machen wollen, aber nun, da es ausgesprochen war, kam es ihr plötzlich gar nicht mehr witzig vor.
    „Nein.“ Er lächelte dünn. „Ich trinke kein Blut.“

    Eve Hess war nicht in ihr Apartment zurückgekehrt.
    Aber das wäre zu viel der Hoffnung gewesen. Kain hatte sie sterbend in der Gasse zurückgelassen. Entweder sie war verblutet, oder der fremde Schattenläufer hatte sich um sie gekümmert.
    Unter seinen Füßen knisterte Papier, als er ihren Loft durchquerte. Kain hob ein paar der Seiten auf. Ausgedruckte E-Mails, in Russisch verfasst, neben die jemand von Hand eine englische Übersetzung geschrieben hatte. Das Licht war nicht eingeschaltet, doch seine Sinne geschärft vom Blut; er konnte Konturen und Details so gut voneinander unterscheiden wie unter greller Sonne.
    Eves Geruch hing in den Räumen, ein leichter Sommerduft. Eine Einladung, ein geflüsterter Traum. Wieder überfiel ihn diese Regung wie ein ungewollter Gast und zerrte an seinen Entscheidungen. Unwillig schüttelte er den Kopf. Was zum Teufel hatte sich geändert, seit sein Anschlag auf die Frau missglückt war? Er hatte keine Skrupel verspürt, ihr die Kehle herauszureißen. Er hatte gewusst, dass er sie töten würde, und es hatte ihn nicht berührt. Was also hatte sich geändert?
    Seine Finger glitten über ihren Schreibtisch, ihren kleinen Laptop, der zugeklappt auf der Glasplatte stand. Daneben lagen Fotos einer verstümmelten Leiche. Kain erkannte die Signatur eines Junkies auf den ersten Blick. Er war schließlich selbst einer, abhängig vom Blut. Er kontrollierte die Sucht nur besser als andere.
    Die Frau fotografierte also Menschen, die Opfer räuberischer Schattenläufer geworden waren. Interessant. Möglicherweise war sein Auftraggeber selbst vom Blut. Vielleicht jemand, der seiner Sucht zu offen nachgegeben hatte, und dem sie nun auf den Fersen war? Er zog die Schubladen auf, eine nach der anderen. Im mittleren Kästchen fand er den Ring. Ihm genügte ein einziger Blick, um das Schmuckstück zu identifizieren.
    Erstaunlich, wie leichtsinnig Eve damit umging. Wusste sie nicht, dass dieser Ring so wertvoll war, dass andere viel Geld für ihren Tod und die Wiederbeschaffung des Objekts zahlten? Im Moment, da er ihn berührte, spürte er die Energie, die den Stein umgab.
    Er musterte den milchweißen Opal, der in seinem Netz ruhte wie eine winzige Supernova. Furchteinflößend. Was war das für ein Ding?
    Kain glaubte nicht an die Existenz von Magie, aber dieses Kunstwerk fühlte sich magisch an. Als würde es vor sich hin summen in einer alten Sprache. Er ließ es in seine Jackentasche gleiten.
    Lange starrte er über den Schreibtisch hinweg aus dem Fenster. Irgendetwas schien die Motten anzuziehen. Sie flatterten vor der Scheibe, ein halbes Dutzend oder mehr, prallten gegen das Glas und taumelten zurück ins Dunkel. Kain betrachtete die Scheiben im Hochhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, das höchstwahrscheinlich den Schlupfwinkel des fremden Schattenläufers beherbergte.
    Dem würde er später nachgehen. Er hatte etwas gespürt in diesem Mann. Etwas, das er zuerst nachprüfen musste. Das fast zu gut war, um wahr zu sein. Seine Gedanken wanderten zurück zu Mordechai.
    Und Hoffnung flackerte unter der Asche.

    Alan entschied, dass es keine Rolle mehr spielte.
    Sie hatte bereits zu viel gesehen. Dinge, die er nicht erklären konnte, ohne ihr seine Natur zu verraten. Der Gedanke, weiterhin Katz und Maus mit ihr zu spielen, ermüdete ihn immer mehr. Vielleicht hatte er auch Glück und Eve hielt ihn für verrückt.
    Ihre Augen waren dunkel vor Misstrauen.
    Er unterdrückte den Impuls, seine Hand auszustrecken und ihre Locken zu berühren. „Ich gehe duschen“, sagte er, „und ziehe mir etwas Sauberes an.“
    Sie antwortete nicht, sah ihn nur schweigend an.
    Zur Hölle mit dem Taktgefühl.
    Er hob seinen Arm und berührte mit den Fingerspitzen ihre Wange. Als sie nicht auswich, umfasste er ihr Kinn und schob einen Daumen über ihre Lippen. Hitze stieg in ihm auf. Er

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