Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
aber Lu Xin wusste, dass der König selbst nicht kämpfte – er leitete die Schlacht vom Sitz in seinem Streitwagen aus.
»Das ist jetzt nicht die Zeit, um Verkleiden zu spielen!« Bill stach mit einer Klaue nach ihr. »So kannst du nicht rausgehen.«
»Wieso nicht? Es passt doch. Fast.« Sie legte den Hosenbund um, sodass sie den Gürtel ganz eng schnallen konnte.
Neben dem Wasserbecken fand sie einen schlichten Spiegel aus poliertem Blech in einem Bambusrahmen. Sie sah im Spiegelbild, dass Lu Xins Gesicht durch die dicke Bronzeplatte des Helms verborgen wurde. Unter der Lederrüstung wirkte ihr Körper stark und massig.
Luce ging aus dem Ankleideraum zurück ins Schlafzimmer.
»Warte!«, rief Bill. »Was wirst du ihnen bezüglich des Königs sagen?«
Luce drehte sich zu Bill um und hob den schweren Lederhelm an, sodass er ihre Augen sehen konnte. »Ich bin jetzt der König.«
Bill blinzelte und konterte ausnahmsweise einmal nicht schlagfertig.
Eine neue Kraft durchströmte Luce. Ihr wurde klar, dass sich als Anführer der Armee zu verkleiden genau das war, was Lu Xin getan hätte. Als gemeiner Soldat würde De natürlich in dieser Schlacht an vorderster Front kämpfen. Und sie würde ihn finden.
Wieder hämmerte jemand gegen die Tür. »König Shang, die Armee von Zhou rückt vor. Wir müssen dringend um Euer Erscheinen bitten!«
»Ich glaube, da spricht jemand mit Euch, König Shang. « Bills Stimme hatte sich verändert. Sie war tief und rau und hallte so stark durch den Raum, das Luce zusammenzuckte, aber sie drehte sich nicht zu ihm um. Sie entriegelte die dicke Bambustür und zog an dem schweren Bronzegriff.
Drei Männer in prächtigen rotgelben Kampfroben begrüßten sie ängstlich. Luce erkannte die drei engsten Ratgeber des Königs sofort: Hu mit den winzigen Zähnen und den schmalen gelben Augen. Cui, der Größte, mit breiten Schultern und weit auseinanderliegenden Augen. Huang, das jüngste und freundlichste Mitglied des Rates.
»Der König ist bereits für den Krieg gekleidet«, sagte Huang und spähte fragend an Luce vorbei in den leeren Raum. »Der König sieht … verändert aus.«
Luce erstarrte. Was sollte sie sagen? Sie hatte die Stimme des toten Königs nie gehört und ihre Imitationen von anderen Leuten waren mehr als lausig.
»Ja.« Hu stimmte Huang zu. »Gut ausgeruht.«
Nach einem tiefen, erleichterten Seufzer nickte Luce steif und achtete darauf, dass ihr dabei der Helm nicht vom Kopf flog.
Die drei Männer bedeuteten dem König – Luce –, den Marmorflur hinabzuschreiten. Sie ging zwischen Huang und Hu, die leise etwas über den traurigen Zustand der Moral der Soldaten murmelten. Cui war dicht hinter Luce, was ihr Unbehagen bereitete.
Der Palast schien kein Ende zu nehmen – hohe Giebeldecken, allesamt glänzend weiß, die gleichen Statuen aus Jade und Onyx an jeder Ecke, die gleichen Spiegel mit Bambusrahmen an jeder Wand. Als sie endlich die letzte Türschwelle überschritten und in den grauen Morgen hinaustraten, entdeckte Luce in der Ferne den Streitwagen aus rotem Holz, und die Knie gaben beinahe unter ihr nach.
Sie musste Daniel in diesem Leben finden, aber sie hatte furchtbare Angst davor, in eine Schlacht zu ziehen.
Beim Streitwagen angekommen, verbeugten sich die Mitglieder des königlichen Rates und küssten ihren Kettenhandschuh. Sie war dankbar für die gepanzerten Handschuhe, zog die Hand aber dennoch schnell zurück, aus Angst, ihr Griff könne sie verraten. Huang überreichte ihr einen langen Speer mit einem Holzschaft und einem gebogenen Haken eine Handbreit unter der Speerspitze. »Eure Hellebarde, Majestät.«
Sie hätte das schwere Ding beinahe fallen lassen.
»Sie werden Euch zu dem Aussichtspunkt oberhalb der Frontlinien bringen«, erklärte er. »Wir werden Euch folgen und Euch dort mit der Kavallerie treffen.«
Luce drehte sich zu dem Streitwagen um. Es war im Grunde ein Holzrahmen auf einer langen Achse, die zwei große Räder miteinander verband, und gezogen wurde das Ganze von zwei gewaltigen schwarzen Pferden. Der Wagen bestand aus glänzendem rot lackiertem Holz und bot Platz für etwa drei Personen, die darin sitzen oder stehen konnten. Ein ledernes Sonnendach und Vorhänge ließen sich während der Schlacht entfernen, aber für den Moment hingen sie herab und boten dem Passagier einen gewissen Schutz vor neugierigen Blicken.
Luce kletterte hinauf, schob die Vorhänge zur Seite und setzte sich. Der Platz war mit Tigerfellen gepolstert.
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