Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
beinahe um, sie zu ignorieren, sich von Lucinda abzuwenden, obwohl alles in seiner Seele ihm sagte, dass er sich umdrehen und direkt zurück zum Klang ihrer Stimme fliehen solle, zurück in die Wärme ihrer Umarmung und ihrer Lippen, zurück zu der fesselnden Macht ihrer Liebe.
Er riss die Ladentür auf, flüchtete die Straße hinunter und rannte auf den Sonnenuntergang zu, rannte, so schnell er konnte. Es scherte ihn nicht im Mindesten, wie es für alle anderen in der Stadt aussehen musste. Er rannte vor dem Feuer in seinen Flügeln davon.
Sieben
Sonnenwende
H ELSTON , E NGLAND , 21. J UNI 1854
Luce’ Hände waren verbrüht und fleckig und schmerzten inzwischen bis zu den Knochen.
Seit sie vor drei Tagen im Herrenhaus der Constances in Helston in Dienst genommen worden war, hatte sie kaum mehr getan, als einen endlosen Stapel Geschirr zu spülen. Sie arbeitete von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und schrubbte Teller und Schalen und Saucieren und ganze Berge von Silberbesteck, bis am Ende ihres Tages ihre neue Chefin, Miss McGovern, das Abendessen für das Küchenpersonal bereitstellte: einen traurigen Teller mit kaltem Fleisch, trockene Käsebrocken und einigen harten Brötchen. Jeden Abend fiel Luce nach dem Essen auf der Dachbodenpritsche, die sie sich mit Henrietta teilte, in einen traumlosen, zeitlosen Schlaf. Henrietta war Küchenmagd wie sie, ein rothaariges, dralles Mädchen mit vorstehenden Zähnen, das aus Penzance nach Helston gekommen war.
Wie konnte ein einziger Haushalt so viel Geschirr schmutzig machen, dass zwei Mädchen zwölf Stunden pausenlos arbeiten mussten? Aber es kamen immer neue Körbe mit von Essensresten verkrusteten Tellern, und Miss McGovern hielt den Blick ihrer Knopfaugen auf Luce’ Spülbecken geheftet. Alle auf dem Gut waren aufgeregt wegen der Sonnenwendfeier am Mittwochabend, aber für Luce bedeutete sie nur noch mehr Geschirr. Sie starrte voller Verachtung in den Messingzuber mit schmutzigem Wasser.
»Das ist nicht das, was mir vorschwebte«, murmelte sie in Bills Richtung, der am Rand des Schranks neben ihrem Waschzuber schwebte. Sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, die Einzige in der Küche zu sein, die ihn sehen konnte. Es machte sie jedes Mal nervös, wenn er über anderen Mitgliedern des Personals schwebte und schmutzige Witze riss, die nur Luce hören konnte und über die niemand – außer Bill – jemals lachte.
»Ihr Kinder der Jahrtausendwende habt absolut keine Arbeitsmoral«, bemerkte er. »Übrigens, du musst leise sprechen.«
Luce nahm die zusammengebissenen Zähne auseinander. »Wenn das Schrubben dieser widerwärtigen Suppenterrine irgendetwas damit zu tun hätte, meine Vergangenheit zu verstehen, würde dir angesichts meiner Arbeitsmoral ganz schwindelig werden. Aber dies ist sinnlos.« Sie wedelte mit einer gusseisernen Kasserolle vor Bills Gesicht herum. Der Griff war glitschig von Schweinefett. »Ganz zu schweigen davon, wie übelkeiterregend es ist.«
Luce wusste, dass ihre Frustration nichts mit dem Geschirr zu tun hatte. Sie klang wahrscheinlich wie ein verzogenes Balg. Aber seit sie mit der Arbeit hier begonnen hatte, war sie kaum je einmal draußen gewesen. Sie hatte den Helstoner Daniel seit der ersten kurzen Begegnung im Garten nicht mehr gesehen und hatte keine Ahnung, wo ihr früheres Ich war. Sie war einsam und teilnahmslos und auf eine Weise niedergeschmettert, wie sie es seit den schrecklichen ersten Tagen in der Sword & Cross nicht mehr gewesen war, bevor sie Daniel gehabt hatte, bevor sie irgendjemanden gehabt hatte, auf den sie wirklich zählen konnte.
Sie hatte Daniel im Stich gelassen, Miles und Shelby, Arriane und Gabbe, Callie und ihre Eltern – und das alles wofür? Um eine Spülmagd zu sein? Nein, um diesen Fluch zu entwirren, etwas, von dem sie nicht einmal wusste, ob sie dazu in der Lage war. Bill dachte also, sie sei zimperlich. Sie konnte es nicht ändern. Sie war kurz vor einem Zusammenbruch.
»Ich hasse diesen Job. Ich hasse dieses Haus. Ich hasse diese blöde Sonnenwendfeier und dieses blöde Fasanen-Soufflé …«
»Lucinda wird heute Abend auf dem Fest sein«, sagte Bill plötzlich. Seine Stimme klang aufreizend gelassen. »Zufällig liebt sie das Fasanen-Soufflé der Constances.« Er flatterte empor und setzte sich im Schneidersitz auf die Theke, wobei er den Kopf um unheimliche dreihundertsechzig Grad drehte, um sich davon zu überzeugen, dass sie beide allein waren.
»Lucinda wird da sein?« Luce
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