Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
nun.« Er schloss die Augen und begann sehr langsam zu sprechen: »Und die Sterne am Himmel fallen auf die Erde wie Feigen, die in einem Sturm von einem Baum gerissen werden …«
Die Worte waren kryptisch, aber Roland rezitierte sie seelenvoll, beinahe als zitiere er eine Lieblingszeile aus einem alten Bluessong. Der Art Song, die sie ihn auf einer Karaokeparty in der Sword & Cross hatte singen hören. Im nächsten Moment erschien er ihr wie der Roland, den sie von Zuhause kannte, als sei er für eine kurze Zeit aus seiner viktorianischen Rolle geschlüpft.
Nur dass da noch etwas anderes an seinen Worten war. Luce kannte sie von irgendwoher. »Was ist das? Was bedeutet das?«, fragte sie.
Der Schrank klapperte abermals. Lauter diesmal.
» Nichts.« Roland öffnete die Augen und war wieder gan z Viktorianer. Seine Hände waren hart und schwielig, und seine Bizepse waren größer, als sie sie von daheim kannte. Die Kleider klebten ihm schweißnass an der dunklen Haut. Er wirkte müde. Eine schwere Traurigkeit überwältigte Luce.
»Du bist hier ein Dienstbote?«, fragte sie. »Die anderen – Arriane – können herumlaufen und … aber du musst arbeiten, nicht wahr? Nur weil du …«
»Schwarz bist?«, beendete Roland ihren Satz und hielt ihren Blick fest, bis sie unbehaglich wegschaute. »Mach dir um mich keine Sorgen, Lucinda. Ich habe Schlimmeres erlitten als die Narreteien der Sterblichen. Außerdem wird mein Tag kommen.«
»Es wird besser werden«, erwiderte sie. Sie hatte das Gefühl, dass jeder Trost, den sie ihm spendete, nichtig und belanglos sein würde, und sie fragte sich, ob das, was sie sagte, wirklich wahr war. »Menschen können schrecklich sein.«
»Nun. Wir müssen uns keine allzu großen Sorgen um sie machen, nicht wahr?« Roland lächelte. »Was hat dich überhaupt hierher zurückgeführt, Lucinda? Weiß Daniel davon? Und Cam?«
»Cam ist ebenfalls hier?« Luce hätte nicht überrascht sein sollen, aber sie war es.
»Wenn mein Timing stimmt, ist er wahrscheinlich gerade in die Stadt gekommen.«
Luce konnte sich darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen. »Daniel weiß es nicht, noch nicht«, gab sie zu. »Aber ich muss ihn finden, und Lucinda ebenfalls. Ich muss wissen …«
»Hör mal«, sagte Roland und wich mit erhobenen Händen vor Luce zurück, beinahe so, als sei sie radioaktiv. »Du hast mich heute hier nicht gesehen. Wir haben dieses Gespräch nicht geführt. Aber du kannst nicht einfach zu Daniel gehen …«
»Ich weiß«, antwortete sie. »Er wird ausflippen.«
»Ausflippen?« Roland probierte die seltsam klingende Phrase aus und brachte Luce damit fast zum Lachen. »Wenn du meinst, er würde sich vielleicht in dieses Du verlieben« – er zeigte auf sie –, »dann ja. Es ist wirklich ziemlich gefährlich. Du bist eine Touristin hier.«
»Na schön, dann bin ich eine Touristin. Aber ich kann zumindest mit ihnen sprechen.«
»Nein, kannst du nicht. Du lebst nicht in diesem Leben.«
»Das will ich ja auch gar nicht. Ich will nur wissen, warum …«
»Dass du hier bist, stellt eine Gefahr dar – für dich, für sie, für alles. Verstehst du das?«
Luce verstand es nicht. Wie konnte sie gefährlich sein? »Ich will nicht hier bleiben, ich will bloß wissen, warum das zwischen mir und Daniel immer wieder geschieht – ich meine, zwischen dieser Lucinda und Daniel.«
»Das ist genau das, was ich meine.« Roland strich sich mit der Hand übers Gesicht und sah sie mit einem harten Blick an. »Hör mir zu: Du kannst sie aus der Ferne beobachten. Du kannst – ich weiß nicht – durch die Fenster schauen. Solange du weißt, dass nichts hier dir gehört.«
»Aber warum kann ich nicht einfach mit ihnen reden?«
Er ging zur Tür und verschloss und verriegelte sie. Als er sich wieder umdrehte, war sein Gesicht ernst. »Hör mir zu, es ist möglich, dass du etwas tun könntest, das deine Vergangenheit verändert, etwas, das Wellen durch die Zeit schlägt und die Geschichte umschreibt, sodass du – die zukünftige Lucinda – verändert sein wirst.«
»Also werde ich vorsichtig sein …«
»Das ist nicht möglich. Du bist ein Elefant im Porzellanladen der Liebe. Du wirst unmöglich wissen können, was du zerbrochen hast oder wie kostbar es vielleicht ist. Keine Veränderung, die du herbeiführst, wird offensichtlich sein. Es wird kein großes Schild geben mit der Aufschrift: WENN DU NACH RECHTS ABBIEGST, WIRST DU EINE PRINZESSIN SEIN, WÄHREND DU, WENN DU NACH LINKS ABBIEGST,
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