Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
von seiner eigenen Vergangenheit fernhalten soll!« Er machte eine theatralische Pause und riss die steinernen Augen auf. »Und wie man in ihr Innerstes gelangt.«
Jetzt beugte sie sich zu ihm herunter. »Wovon redest du eigentlich?«
Er verschränkte die Arme vor der Brust und wackelte mit seiner steinernen Zunge. »Das sag ich nicht.«
»Bill!«, flehte Luce.
»Jedenfalls jetzt noch nicht. Lass uns zuerst sehen, wie du dich heute Abend hältst.«
Ein Weilchen vor Einbruch der Abenddämmerung erzielte Luce ihren ersten Fortschritt in Helston. Unmittelbar vor dem Essen verkündete Miss McGovern dem Küchenpersonal, dass die Dienstboten, die vorn im Haus arbeiteten, für das Fest einige zusätzliche helfende Hände benötigten. Luce und Henrietta, die beiden jüngsten Spülmägde und die beiden Mädchen, die am meisten darauf brannten, das Fest aus der Nähe zu sehen, waren die Ersten, die die Hände hochrissen, um sich freiwillig zu melden.
»Schön, schön.« Miss McGovern notierte sich die Namen beider Mädchen, und ihr Blick verweilte kurz auf Henriettas fettigem Haar. »Unter der Voraussetzung, dass du badest. Ihr beide. Ihr stinkt nach Zwiebeln.«
»Ja, Miss«, zirpten beide Mädchen, obwohl Henrietta sich, sobald ihre Chefin den Raum verlassen hatte, zu Luce umdrehte. »Vor diesem Fest ein Bad nehmen? Und riskieren, dass meine Finger aussehen wie verschrumpelte Pflaumen? Die Miss ist verrückt!«
Luce lachte, bevor sie mit gut verhehlter Begeisterung eine runde Zinkwanne füllte. Sie hatten nicht genug kochendes Wasser, um das Bad richtig heiß zu machen, aber t rotzdem schwelgte sie genüsslich in dem lauwarmen Seif enschaum – und in der Vorstellung, dass sie an diesem Abend endlich Lucinda zu Gesicht bekommen würde. Würde sie auch Daniel sehen?
Sie streifte für das Fest ein sauberes Dienstbotenkleid von Henrietta über. Um acht Uhr am Abend kamen die ersten Gäste durch das Tor am Nordeingang des Gutes.
Luce, die vom Fenster im vorderen Flur aus beobachtete, wie die Karawane von beleuchteten Kutschen auf die runde Einfahrt einbog, schauderte. Im Foyer war es warm von all dem Treiben. Um sie herum summten die anderen Dienstboten, aber Luce stand still da. Sie konnte es spüren: ein Zittern in der Brust, das ihr sagte, dass Daniel in der Nähe war.
Das Haus war wunderschön und im Schein der vielen Kronleuchter kaum wiederzuerkennen – allerdings hatte sie weder bei ihrer Einstellung noch seither allzu viel davon zu Gesicht bekommen. Luce kam sich vor wie in einem Merchant-Ivory-Film. Hohe Töpfe mit violetten Lilien säumten den Eingang, und die mit Samt gepolsterten Möbel waren an die mit einem Blumenmuster tapezierten Wände geschoben worden, um Platz für die Gäste zu machen.
Sie kamen zu zweit oder zu dritt durch die Vordertür, Gäste, die so alt waren wie die weißhaarige Mrs Constance und so jung wie Luce selbst. Mit leuchtenden Augen und eingehüllt in weiße Sommermäntel knicksten die Frauen vor den Männern in eleganten Anzügen und Westen. Schwarz gekleidete Kellner huschten durch das große, offene Foyer und boten funkelnde Kristallkelche mit Champagner an.
Luce fand Henrietta bei den Türen zum Hauptballsaal, der aussah wie ein blühendes Blumenbeet: extravagante, leuchtend bunte Gewänder in allen Farben, Organza, Tüll, Brokat und Seide füllten den Raum. Die jüngeren Damen trugen bunte Blumensträußchen, sodass das ganze Haus nach Sommer roch.
Henriettas Aufgabe bestand darin, die Schultertücher und Ridiküle der Damen in Empfang zu nehmen, wenn sie eintraten. Luce hatte man aufgetragen, Tanzkarten zu verteilen – kleine, offensichtlich kostspielige Heftchen, auf deren vorderen Einband das juwelenbesetzte Familienwappen der Constances eingenäht war. Im Innern des Büchleins waren die Tänze aufgeführt, die das Orchester im Lauf der Nacht spielen würde.
»Wo sind denn die Männer alle?«, flüsterte Luce Henrietta zu.
Henrietta schnaubte. »Du bist mir die Richtige! Im Raucherzimmer natürlich.« Sie deutete mit dem Kopf nach links, wo ein Flur in die Dunkelheit führte. »Wo sie, wenn sie klug sind, bleiben werden, bis das Essen serviert ist, wenn du mich fragst. Wer will schon all dieses Geschwätz über irgendeinen Krieg auf der Krim hören? Nicht diese Damen. Nicht ich. Nicht du, Myrtle.« Dann zog Henrietta ihre dünnen Augenbrauen hoch und deutete auf die Balkontüren. »Uff, da war ich wohl zu voreilig. Es scheint, einer von ihnen ist entkommen.«
Luce
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